NS-Dokuzentrum in München:Streit um den Gang durch die Geschichte

Nach der Trennung von den Ausstellungsgestaltern steht zwar der neue Termin für die Eröffnung des NS-Dokuzentrums in München fest. Doch die Fachleute streiten, wie eine Ausstellung aussehen muss, die Besucher zum Nachdenken anregt und die Erinnerung an die NS-Zeit wachhält.

Von Franziska Brüning

Noch ist das NS-Dokuzentrum an der Brienner Straße eine Baustelle. Seine Wirkung entfaltet es aber schon jetzt. Nicht alle Münchner können dem weißen Kubus etwas abgewinnen. Besser könnte es nicht sein. Der moderne Würfel sollte einen Kontrapunkt zu den umliegenden Gebäuden aus der NS-Zeit setzen und auf diese Weise mit der Geschichte des Standortes auf dem Gelände des ehemaligen "Braunen Hauses" brechen.

Wenn sich die Besucher schon vor dem Gebäude die Augen reiben, ist eine erste wichtige Aufgabe des NS-Dokuzentrums erfüllt. Doch was erwartet die Besucher im Inneren? Nach dem Ausscheiden des Berliner Gestaltungsbüros "Carsten Gerhards" ist derzeit wieder völlig offen, ob es Winfried Nerdinger, dem Direktor des NS-Dokuzentrums, gelingen wird, auch eine Ausstellung zu entwickeln, die zu Diskussionen anregt.

Zwischen Nerdinger und Carsten Gerhards soll es zu einem tiefen Konflikt hinsichtlich der Ausstellungsgestaltung gekommen sein. In einer Pressekonferenz am Freitag, zu der Kulturreferent Hans-Georg Küppers und Winfried Nerdinger eingeladen hatten, wurde dieser Vorwurf offiziell abgestritten. Hinter vorgehaltener Hand heißt es aber weiterhin, die Berliner seien aus dem Projekt ausgestiegen, weil sie sich nur noch als Handlanger gefühlt hätten, die Nerdingers Vorstellungen umsetzen sollten. Personelle Probleme innerhalb des Gestalterbüros habe es, anders als von manchen behauptet, während der Arbeit in München nicht gegeben.

Mit Herzblut bei der Sache

Wer mit Nerdinger das fast fertig gestellte NS-Dokuzentrum besichtigt, merkt, dass er mit Herzblut bei der Sache ist. Das Haus ist sein Projekt, für das er lange gekämpft hat. Zwar hängen überall noch Kabel aus den Decken und verschiedene Durchgänge sind mit Plastikbahnen abgeklebt, aber Nerdinger kann schon jetzt so anschaulich beschreiben, wie es bei der auf den 30. April 2015 verschobenen Eröffnung innen aussehen wird, dass man glauben könnte, die Schau sei bereits fertig.

Da ist zunächst einmal die phantastische Aussicht. Im vierten Obergeschoss, in dem die Ausstellung beginnen wird, hat man einen Rundumblick über das ganze ehemalige NS-Parteiviertel. Und all das vor Münchner Postkartenkulisse. Die belastete Vergangenheit und die touristisch geprägte Gegenwart der Stadt stoßen hier frontal aufeinander. Zwar sind die Sichtbezüge zu den historischen Orten, mit denen man in der Ausstellung arbeiten möchte, nicht wirklich etwas Neues in der Gedenkstättenlandschaft, ihre Wirkung verfehlen sie gleichwohl nicht.

34 Themenschwerpunkte

Von den oberen Stockwerken sieht man unter anderem die mit Gras überwachsenen Sockel der Ehrentempel. 1935 hatten sie die Nazis für ihre Weggefährten gebaut, die beim Hitler-Putsch 1923 von der Polizei erschossen worden waren. Der Blick darauf spricht für sich. Eindrücklicher als mit den überwucherten Sockelresten könnte man nicht zeigen, wie die einstige "Hauptstadt der Bewegung" ihre Geschichte nach 1945 verdrängt hat.

Für Nerdinger ist diese fehlende Auseinandersetzung mit der eigenen historischen Verantwortung ein ganz wichtiges Thema, dem im zweiten Obergeschoss etwa die Hälfte des Platzes eingeräumt wird. Mit den Historikern Hans Günter Hockerts, Marita Krauss und Peter Longerich hat sich Nerdinger auf insgesamt 34 Themenschwerpunkte festgelegt, die auf 950 Quadratmetern dargestellt werden sollen.

Der Rundgang von oben nach unten bis in den ersten Stock soll beim Ursprung und Aufstieg der NS-Bewegung beginnen und in der Gegenwart enden. Auf Basis des vom Gestaltungsbüro Carsten Gerhards entwickelten Ausstellungsentwurfs will Nerdinger mit vertikalen und waagerechten Elementen arbeiten. Objekte aus der NS-Zeit werden nicht präsentiert.

Ein ehrgeiziges Projekt

Auf den vertikalen Elementen sollen großformatige Bilder, versehen mit einer Leitüberschrift und einer Jahreszahl, gezeigt werden. Beispielsweise ein vielfach veröffentlichtes Foto, auf dem der Münchner Rechtsanwalt Michael Siegel zu sehen ist, wie er 1933 öffentlich von Nazi-Schergen gedemütigt wurde. Dieses großformatige Bild soll dann etwa mit einem Foto von Siegel als Privatperson kontrastiert werden. Carsten Gerhards wollte hier, wie aus dem Umfeld Nerdingers berichtet wird, mit Fotos arbeiten, die ausgeblendet oder überblendet werden, um Siegels Demütigung nicht noch einmal zur Schau zu stellen. Ob Nerdinger diesen Vorschlag übernehmen wird, ist ungewiss.

Zu den Bildern sind jeweils zwei erklärende Texte vorgesehen. Einer, der dem Besucher erläutert, was er sieht, und ein Text, der das Bild in den historischen Kontext einordnet. Im Fall des Fotos von Michael Siegel wäre dies das Thema "Das Versagen der Institutionen: das Ende von Rechtsstaat und Demokratie", erklärt Nerdinger. Jedem vertikalen Element soll ein waagerechtes Element zugeordnet werden, etwa ein Medientisch, auf dem weitere Informationen zum Themenüberbau zu finden sind - in dem beschrieben Fall also zum Ende von Rechtsstaat und Demokratie.

Nerdinger will auf dieser waagerechten Ebene unter anderem mit Filmsequenzen arbeiten. Die Aufgabe der neuen Gestalter, die nun die sogenannte Ausführungsgestaltung übernehmen, wird es sein, etwa die Materialien und die Schriftgröße für die verschiedenen Elemente auszusuchen. Dabei müssen sie auf die Urheberrechte des Büros Carsten Gerhards achten. Von Gestaltern, die Nerdinger hierfür angesprochen hat, ist zu hören, man habe Nerdinger aufgeschlossen erlebt und sehe noch Potenzial, sein inhaltliches Konzept kreativ in den Raum zu übersetzen.

Ausstellungstexte sollen zweisprachig sein

Trotz geplanter Audi-Video-Guides will Nerdinger die Ausstellungstexte offenbar durchgängig zweisprachig in Deutsch und Englisch anbieten. Das klingt angesichts der Themenfülle nach einer gewaltigen Textmenge. Beteiligte, die Nerdingers Differenzen mit dem Gestaltungsbüro Carsten Gerhards erlebt haben, berichten, die Berliner hätten angeblich eine leichter zu erfassende Präsentation favorisiert, die ihrer Meinung nach jüngere Generationen besser angesprochen hätte.

Man dürfe sich das Konzept nicht zu starr vorstellen, betont Nerdinger. So würden auch die Wände miteinbezogen, auf denen dann die großen optischen Eindrücke zu sehen seien. Nerdinger legt Wert darauf, dass es keine "Zwangsführung" durch die auf eineinhalb Stunden angelegte Ausstellung geben werde. Die Besucher müssten der vorgegebenen Führungslinie nicht unbedingt folgen. So sieht er auch kein Problem darin, dass Besucher, die nicht auf einen der beiden Aufzüge warten wollen, mit denen man direkt zum Ausstellungsbeginn in das vierte Obergeschoss befördert wird, die Treppe nehmen und somit die chronologisch und thematisch aufeinander aufbauende Schau von hinten aufrollen. Zwischen den Stockwerken werde es über offene Lufträume ja auch thematische Querverweise über die Ausstellungsebenen hinweg geben.

Aktuelle Themen

Am Ende der Ausstellung sollen dann auf zwei großen, an einer Wand befestigten Bildschirmen Newsticker mit Informationen zu aktuellen politischen Themen, beispielsweise zum Antisemitismus, laufen. Hier werde dem Besucher bewusst: "Die NS-Zeit geht mich heute noch etwas an. Ich muss mich damit auseinandersetzen." Diesem aktuellen Bezug zur Gegenwart wird im Vergleich zu den Themen der restlichen Ausstellung momentan recht wenig Platz eingeräumt.

Bis zur Eröffnung müssen Nerdinger und seine Mitarbeiter auch noch ein paar technische Probleme lösen. Derzeit werden verschiedene Möglichkeiten getestet, das durch die großen Glasfronten einfallende Sonnenlicht abzuhalten. Das ist nicht unerheblich, weil auf die Fenster historische Szenen projiziert werden sollen.

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