"Nicht Schwarzweiß":Berufsschüler gestalten Projekt im NS-Dokumentationszentrum

Berufsschüler für Gestaltung ergänzen mit eigenen Arbeiten die Dauerausstellung des NS-Dokumentationszentrums. München, 27.02.2019.

Marie Schläfer ist angehende Vergolderin. Zu dem Mobile im NS-Dokuzentrum hat die 23-Jährige das Element beigetragen, das eine rote Welle zeigt; diese stehe für das Meer, in dem Flüchtlinge ertrinken.

(Foto: Jan A. Staiger)
  • Die städtischen Berufsschule für Farbe und Gestaltung hat das Projekt "Nicht Schwarzweiß" im NS-Dokumentationszentrum gestaltet.
  • Die 200 Schülerinnen und Schüler setzten mit Hilfe von Farbe, Licht und Schrift die Nazi-Zeit in Beziehung zur Gegenwart.
  • Das Projekt ist bis zum 5. Mai 2019 im NS-Dokumentationszentrum zu sehen.

Von Jakob Wetzel

Dass etwas anders ist, zeigt sich rasch. Der Rundgang durch das NS-Dokumentationszentrum beginnt im vierten Stock, der erste Blick fällt dort wie bisher auf das Bild eines Schlachtfelds des Ersten Weltkriegs. Wenige Schritte weiter sind, ebenfalls wie gehabt, Aufnahmen aus den Münchner Revolutionswirren von 1919 zu sehen. Doch daneben leuchten nun fünf quadratische Kästen, aufgereiht auf einem Pfeiler. Einer der Kästen zeigt ein Flugzeug und ein Boot, dabei steht "Reisefreiheit". Doch wenn das Licht angeht, wird aus der "Reise" die "Flucht".

Weitere Leuchtkästen stehen zum Beispiel ein Stockwerk tiefer neben dem Foto, das zeigt, wie die SA den jüdischen Rechtsanwalt Michael Siegel schikaniert. Einen der Kästen hat Victor Pfaffenzeller, 18, gestaltet: Er zeigt einen Davidstern, der zunächst als religiöses Symbol wirkt. Doch wenn das Licht angeht, erstrahlt er so gelb wie die "Judensterne" aus der Nazi-Zeit.

Die Leuchtkästen sind Teil von "Nicht Schwarzweiß", einem mutigen Projekt im NS-Dokumentationszentrum. 200 Schülerinnen und Schüler der städtischen Berufsschule für Farbe und Gestaltung stellen dort ab diesem Donnerstag bis zum 5. Mai 90 Arbeiten aus, mit denen sie mit Hilfe von Farbe, Licht und Schrift die Nazi-Zeit in Beziehung zur Gegenwart setzen. Sie haben dafür nicht einfach eine Sonderausstellung im Separee gestaltet, sondern die Dauerausstellung ergänzt und kommentiert. Das NS-Dokuzentrum spricht von einer "Intervention in Farbe".

Das Projekt "Nicht Schwarzweiß" ist eines der ersten, das unter Mirjam Zadoff als Direktorin des NS-Dokuzentrums realisiert worden ist. Zadoff hatte bei ihrem Antritt erklärt, sie wolle neue Zielgruppen ansprechen, unter anderem Migranten, die den Nationalsozialismus nicht zwingend als Teil ihrer eigenen Geschichte begreifen würden. Viele der Berufsschüler haben Migrationshintergrund, und viele von ihnen sind tatsächlich für das Projekt zum ersten Mal im NS-Dokuzentrum gewesen.

Es gehe um Partizipation, um Relevanz und um Vielstimmigkeit, sagte Zadoff bei einem Rundgang am Mittwoch. Die Schüler hätten sich gefragt, was die Geschichte mit ihnen zu tun habe. Sie beschäftigen sich in ihren Arbeiten jetzt mit Verfolgung und Ausgrenzung, Krieg und Flucht. Mehrere hätten ja selbst Diktaturen und Flucht erleben müssen, sagte Zadoff. Andere thematisieren aber auch etwa Korruption, Gleichberechtigung und die Diskriminierung von Nicht-Heterosexuellen - und immer wieder auch den Umweltschutz.

Die Schüler hätten oft an die Umwelt gedacht, sagt Clemens Abert. Der Beratungslehrer an der Berufsschule hat das Projekt mit Thomas Rink vom Dokuzentrum koordiniert. Von Themen wie Ausgrenzung seien sie immer wieder auf die Verwüstung von Lebensräumen gekommen. An Freitagsdemonstrationen hätten sich die Schüler aber nicht beteiligt. "Die waren viel zu sehr mit der Ausstellung beschäftigt."

Eine Welt, viele Farben

Die Schüler hätten sich häufig ein Stück weit von der Nazi-Geschichte entfernt, sagte auch Zadoff. Die Gefahr, die Verbrechen der Nazis durch solche Bezüge zu relativieren, sehe sie aber nicht. Es gehe darum, was aus der Geschichte zu lernen sei.

Klassen für sieben Berufsgruppen haben teilgenommen. Lichtreklamehersteller haben Leuchtkästen geschaffen. Andere Lehrlinge haben andere Formen gefunden. Maler und Lackierer etwa haben aus ihren Schattenrissen Aufsteller fabriziert, die politische Botschaften tragen. Kirchenmaler haben Bilder in die Treppenhäuser gehängt, Fahrzeuglackierer haben Lackplatten aufgehängt. Wo geschildert wird, wie die Nazis Minderheiten ausgrenzten, hängt nun etwa ein buntes Puzzle mit der Botschaft: "Hier ist Platz für jeden". Gestaltet hat es Laura Müller, 17. Es stehe für die Pfadfinder, sagt sie. Jeder sei dort willkommen. In der Nazi-Zeit seien die Pfadfinder deshalb verboten gewesen.

Kurz vor dem Ausstellungsende haben Schüler für visuelles Marketing außerdem mit Buchstabentafeln den Schriftzug "Eine Welt, viele Farben" nachgebildet. Und wenige Schritte davor hängt ein Mobile, das angehende Vergolder geschaffen haben. Das stehe analog zur Gesellschaft, erklärt Abert: Gerät ein Element aus dem Gleichgewicht, komme alles ins Wanken.

Die Wachsbildner schließlich haben eine Art Außenstelle geschaffen: eine Kerze in einem Glasquader, den Besucher mit 10 000 bunten Wachswürfeln füllen können. Jede Farbe stehe für einen Wert wie Sicherheit oder Respekt, erklärt Pia Bianco-Maselli, 18. Die Kerze steht aber anderswo: in der nahen Benediktinerkirche Sankt Bonifaz. Votivkerzen seien immer schon in Kirchen getragen worden, sagt die Schülerin. Außerdem verbietet im NS-Dokuzentrum der Brandschutz offenes Feuer.

Zur SZ-Startseite
Adolf Hitler vor dem Haus der Kunst in München

Orte mit NS-Vergangenheit
:Spuren des Terrors in München

Großbürgerliche Salons in der Maxvorstadt, Bierkeller in Haidhausen, "Lebensborn"-Einrichtungen im Herzogpark: Autor Rüdiger Liedtke zeigt Orte in München, die mit der NS-Geschichte verbunden sind.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: