Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Wer leidet, der schneidet

Das NS-Dokumentationszentrum zeigt das Werk des legendären Montagekünstlers John Heartfield.

Von Jürgen Moises

Der Name John Heartfield steht für furiose Fotomontagen, in denen ein hochpolitisches Bewusstsein und eine scharfe, bitterböse Ironie zum Ausdruck kommt. Viele davon gelten heute als Ikonen des künstlerischen Kampfes gegen den Nationalsozialismus. "Dass der Bleistift zu schwach war, um wirklich glaubhaft den Menschen einzubläuen, was man eigentlich sagen musste in dieser Zeit": Mit diesen Worten erklärte Heartfield, der eigentlich Helmut Herzfeld hieß, 1966 in einem Rundfunkinterview seinen Weg zur Fotomontage, der vom Dadaismus, Kommunismus, vom Ersten Weltkrieg und der Weimarer Zeit geprägt war. Mit diesen turbulenten Jahren wird seine Kunst vorwiegend assoziiert. Dabei war Heartfield auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch aktiv. Und er war noch mehr als ein genialer Fotomonteur.

Zahlreiche Belege dafür kann man vom 2. Dezember an in der Ausstellung "John Heartfield. Fotografie plus Dynamit" im NS-Dokumentationszentrum München sehen, einer multimedialen Schau, die im vergangenem Jahr in der Berliner Akademie der Künste zu erleben war. Das heißt: Zunächst musste man sich wegen des Corona-Lockdowns mit einem digitalen Ausstellungsparcours zufrieden geben, ergänzt durch ein hervorragendes Online-Archiv, das auch weiterhin via heartfield.adk.de zugängig ist. Das sei nur deswegen erwähnt, weil die Eröffnung in München am 1. Dezember um 19 Uhr wegen der aktuellen Corona-Lage online unter www.youtube.com/nsdoku stattfindet. Anschauen kann man sich die Exponate aber trotzdem hoffentlich vor Ort.

Heartfield entwarf auch Bühnenbilder und Kostüme fürs Theater

Dort kann man sehen, dass Heartfield nicht nur bissige Montagen geschaffen hat, wie etwa "Krieg und Leichen" oder einen Nazi-Tannenbaum für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung. Er war in den 1920ern auch als Ausstatter für die Theatergrößen Max Reinhardt und Erwin Piscator tätig. Er hat für sie Bühnenbilder kreiert, die den Zuschauerraum mit einbeziehen, verblüffende Projektionen und Kostüme sowie sämtliche Werbematerialien wie Plakate oder das Theaterprogramm. 1919 hat er außerdem an einem Film der Ufa mitgewirkt. Neben George Grosz, mit dem er gemeinsam seine ersten Fotomontagen schuf, war sein Bruder Wieland Herzfeld eine wichtige Figur. Zusammen gründeten sie 1917 in Berlin den Malik-Verlag, in dem von Heartfield gestaltete Bücher und dadaistische Zeitschriften herauskamen.

Von 1908 bis 1911 hat Heartfield übrigens an der Kunstgewerbeschule München studiert und 1912 auch kurz als Werbegrafiker hier gearbeitet. 1933 ging er ins Exil, kam 1950 zurück nach Deutschland, in die DDR, wo er mit Bertolt Brecht einen namhaften Fürsprecher hatte, aber bis zu seinem Tod 1968 künstlerisch nie wirklich Fuß fasste. Erzählt wird das in Form von bisher nur selten gezeigten Dokumenten, wobei es der Schau eher um eine zeithistorische und weniger um eine kunsthistorische Einordnung geht. Dafür gibt es mit Marcel Odenbachs Videoinstallation "Wer Leidet der Schneidet/Wer Schneidet der Leidet" einen künstlerischen Bonus, der noch einmal einen ganz eigenen Blick auf John Heartfield eröffnet.

"John Heartfield. Fotografie plus Dynamit", Do., 2. Dez. bis 27. Feb., NS-Dokumentationszentrum, Max-Mannheimer-Platz 1, Telefon: 23 36 70 00

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