NS-Dokumentationszentrum:"Berlin war Verstand, München Herz"

Rund um den Königsplatz diskutieren Historiker über die Bedeutung Münchens in der NS-Zeit - und darüber wie Erinnern organisiert werden kann.

Anna Fischhaber

"Hauptstadt der Bewegung" - so betitelte Hitler einst München, war hier doch die NSDAP-Parteizentrale angesiedelt. An der Stelle, wo einst das "Braune Haus" stand, soll nun ein NS-Dokumentationszentrum entstehen. Lange war über die Finanzierung des Museums an der Brienner Straße gestritten worden, nun steht diesem nichts mehr im Wege. Unter dem Motto "Topographie des Nationalsozialismus" öffneten am heutigen Freitag zahlreiche Einrichtungen ihre Häuser rund um den Königsplatz, wo sich die Geschichte des Nationalsozialismus einst in besonderer Weise verdichtete. Gemeinsam mit hochkarätigen Historikern will die Stadt zwei Tage lang über die Gestaltung des Dokumentationszentrums diskutieren.

NS-Dokumentationszentrum: So sah der Königsplatz Ende der dreißiger Jahre aus. Die Nazis errichteten hier eine Parteiverwaltung mit teilweise über 6000 Beschäftigten.

So sah der Königsplatz Ende der dreißiger Jahre aus. Die Nazis errichteten hier eine Parteiverwaltung mit teilweise über 6000 Beschäftigten.

(Foto: Foto: Stadtarchiv/oh)

"Kein Ort, kein Platz, kein Gebäude hat sich geweigert teilzunehmen, auch wenn manchmal die Erinnerung alles andere als angenehm ist", sagte der Kuratoriumsvorsitzende Theo Waigel, ehemals Finanzminister, bei der Eröffnung der Informationsveranstaltung am Freitagvormittag. Jahrzehntelang seien Entsetzen und Scham übermächtig gewesen - auch er selbst habe lange gezögert, die Briefe seines Bruders aus dem Zweiten Weltkrieg zu lesen. "Aber Aufklärung ist nicht Rache oder Nestbeschmutzung, sondern notwendig", so Waigel. Er wünsche sich nun ein "lebendiges Mahnmal".

"München hat sich lange genug herausgeredet"

"Längst überfällig", lautete das Urteil der Münchner Bürger, die in Scharen gekommen waren. "München hat sich lange genug herausgeredet und das Gedenken nach Dachau abgeschoben, jetzt wird es Zeit, dass die Stadt sich der eigenen Geschichte stellt", sagte Felizitas Reith zu sueddeutsche.de. "Rund um den Königsplatz haben über 6000 Menschen für die NSDAP gearbeitet. Vielen ist gar nicht bewusst, dass alle Gebäude hier kontaminiert wurden - vielleicht auch weil ein Hinweisschild fehlt", sagte Rainer Schuster. Im NS-Dokumentationszentrum müsse deshalb nicht nur die Geschichte des Dritten Reichs, sondern vor allem der spezifische Münchner Blickwinkel beleuchtet werden.

Mit der Frage wie das Erinnern im Münchner NS-Dokumentationszentrum aussehen kann, beschäftigten sich auch Andreas Heusler vom Münchner Stadtarchiv und Hans Mommsen. Wie die Bürger forderte auch der Bochumer Historiker eine historische Aufarbeitung des Nationalsozialismus in seiner regionalen Ausprägung: Gerade an dem Geschehen in der "Hauptstadt der Bewegung" könne ein authentisches Bild der Zeit vermittelt werden.

Im Mittelpunkt des Gesprächs standen die Besonderheiten des Standortes: 1930 kaufte die NSDAP den Palais Barlow und machte daraus den Kern einer ausgereiften Verwaltung. Mit der ersten eigenen Immobilie wuchs auch das Selbstbewusstsein der Partei - "aus der Krawalltruppe wurde ein pseudo-bürgerlicher Verein", so Heusler, der gerade ein Buch über das "Braune Haus" herausgebracht hat. Doch die Parteizentrale war nicht nur Täter-, sondern auch Opferort. Im Keller wurden immer wieder politisch Missliebige gefoltert.

"Berlin war der Verstand, München das Herz der nationalsozialistischen Bewegung", erklärte Heusler den Dualismus der beiden Städte im Dritten Reich. Mit der Frage welche Bedingungen gerade München zum Ort des Aufstiegs der NSDAP beschäftigten sich am Freitagvormittag auch Martin Geyer, Professor für Neueste Geschichte an der LMU, und Peter Longerich, Professor an der Royal Holloway University in London. In der ehemaligen Villa des Verlegers Hugo Bruckmann, wo Hitler einst Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten knüpfte, analysierten sie die politischen Rahmenbedingungen und das kulturelle Milieu an der Isar.

Für Freitagnachmittag sind weitere Veranstaltungen geplant - etwa zur nationalsozialistischen Kunstpolitik in München, das nicht nur "Hauptstadt der Bewegung", sondern auch "Hauptstadt der Kunst" war (Zentralinstitut für Kunstgeschichte, 15.45 Uhr). Am Samstag, 6. September, finden dann "zeitgeschichtliche Rundgänge" durch das ehemalige Parteiviertel statt, die aber bereits ausgebucht sind. Weitere Informationen zum Programm unter www.ns-dokumentationszentrum-muenchen.de oder Telefon 23326142. Der Baubeginn des NS-Dokumenationszentrums ist für 2010 geplant.

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