Notstand:Für die Alten fehlen die Pfleger

Ein neuer Personalnotstand zeichnet sich ab: Die hohen Lebenshaltungskosten in München führen zu einem dramatischen Mangel an Fachkräften.

Sven Loerzer

In der Altenpflege zeichnet sich ganz deutlich ein neuer Personalnotstand ab. Sowohl für den ambulanten als auch für den stationären Bereich sind nach Angaben von Trägern und Verbänden in München kaum mehr Fachkräfte zu finden. Gleichzeitig stagniert die Zahl der Auszubildenden auf niedrigem Niveau.

Notstand: In der Altenpflege zeichnet sich ganz deutlich ein neuer Personalnotstand ab.

In der Altenpflege zeichnet sich ganz deutlich ein neuer Personalnotstand ab.

(Foto: Foto: ddp)

"Wir bekommen aus München und Umgebung keine Pflegekraft mehr", sagt Gerd Peter, Geschäftsführer der städtischen Heimträgergesellschaft Münchenstift. Zwar gab es im Juli im Wirtschaftsraum München insgesamt 660 Arbeitslose, die zuletzt in der Altenpflege beschäftigt waren. Davon waren 331 Personen bereits länger als ein Jahr arbeitslos und bezogen deshalb Arbeitslosengeld II. Allerdings waren nur vier davon als uneingeschränkt geeignet für den ersten Arbeitsmarkt eingestuft: "Für die übrigen Kunden müssen berufliche Alternativen gesucht werden", resümierte die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung.

Der erhebliche Arbeitskräftemangel sei mit den arbeitslos gemeldeten Personen nicht abzudecken. "Sie erfüllen unsere Anforderungen nicht", bestätigt Peter. Er setzt deshalb vor allem auf die Ausbildung, kritisiert dabei jedoch, dass es dafür keine Umlagefinanzierung gibt. Heime, die ausbilden, können die Kosten hierfür zwar in den Pflegesatz einrechnen, haben dadurch aber einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Heimen, die keine Ausbildungsplätze anbieten.

Andere Pflegedienst- und Heimträger sowie Verbände, die das Sozialreferat befragt hat, beurteilen die Arbeitsmarkt-Situation ähnlich kritisch. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass es schwierig sei, sowohl für ambulante Pflegedienste als auch für Heime Personal zu bekommen. Damit sieht die frühere Stadträtin Elisabeth Schosser (CSU) ihre Befürchtungen bestätigt. Sie hatte in einem Antrag gefordert, die Attraktivität des Pflegeberufs zu erhöhen, um der besonderen Situation in München wegen der hohen Lebenshaltungskosten Rechnung zu tragen.

Bei einem Durchschnittsgehalt von etwa 1900 Euro brutto für eine alleinstehende Pflegekraft sei München ein "unattraktiver" Arbeitsort, beschreibt Sozialreferent Friedrich Graffe (SPD) das Problem. Es sei schwierig, qualifiziertes Personal zu finden, "wenn tarifliche Gehaltsabsenkungen bei hohen Lebenshaltungskosten zur Berufsflucht oder zur Annahme weiterer Beschäftigungsverhältnisse führen".

Für die Alten fehlen die Pfleger

Die relativ entspannt erscheinende Personalsituation der letzten Jahre führt die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi darauf zurück, dass durch den Stellenabbau in den Krankenhäusern mangels Alternative viele Fachkräfte in die Altenpflege gewechselt seien. Dieser Zustrom lasse nun nach, weil der Stellenabbau in den Kliniken an seine Grenzen gestoßen sei. Die Hans Weinberger Akademie (HWA) der Arbeiterwohlfahrt führt den Rückgang bei der dreijährigen Ausbildung zur Fachkraft auch auf die mangelnde Ausbildungsbereitschaft vieler Einrichtungen zurück. Fachkraftstellen seien "nur unter großen Schwierigkeiten und mit viel Zeit- und Kostenaufwand zu besetzen", der Markt sei bereits leergefegt, stellt die HWA fest.

Der immense Kostendruck in den Altenhilfeeinrichtungen und das steigende Ausmaß der Pflegebedürftigkeit belasten das Personal. So fühlten sich Auszubildende immer häufiger ausgebrannt. Während in Bayern bei den Bildungsträgern der Wohlfahrt vor fünf Jahren noch etwa 1500 Fachkräfte jährlich ausgebildet wurden, stagnierten die Schülerzahlen nach Angaben der HWA heute bei etwa 1000.

Die Heimerer-Berufsfachschule führt als Ursache an, dass es bisher nicht gelungen sei, das Berufsbild attraktiver zu gestalten. Außerdem reiche die Ausbildungsvergütung für die fixen Kosten in München wegen der hohen Mieten und der hohen Unterhaltskosten nicht aus: "Deshalb sehen sich Schüler immer wieder gezwungen, aus finanziellen Gründen die Ausbildung abzubrechen."

Die Katholische Stiftungsfachhochschule sieht das Problem der Altenpflege unter anderem in der "anhaltenden Abwärtsspirale aus geringer Entlohnung und Anerkennung". Die Altenpflege sei im Niedriglohnbereich angesiedelt: "Der Status der Altenpflege hängt mit dem Status der Klientel zusammen." Der alte, gebrechliche, verwirrte und damit von fremder Hilfe abhängige Mensch sei "das genaue Gegenbild unserer üblichen Ideale: Er konfrontiert uns mit unserer meistgefürchteten eigenen Zukunft."

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