Rettungssanitäter wollen einen schwer verletzten Jungen nach einem Verkehrsunfall in ein Krankenhaus bringen. Doch alle Intensivstationen in den Münchner Kliniken haben sich abgemeldet, das Kind wird in ein Krankenhaus nach Augsburg geflogen.
Ein Vater kommt mit seiner Tochter in die Notaufnahme, das Kleinkind ist vom Klettergerüst gefallen, Gehirnerschütterung, das Mädchen übergibt sich. Alle Betten sind belegt, in den anderen Münchner Kliniken auch, die Ärzte schicken das Kind nach Starnberg.
Ein Baby hat einen epileptischen Anfall, seine Lippen laufen blau an. Der Notarzt kann es nicht in die nächste Klinik bringen, in dem das Baby bereits mehrfach behandelt wurde. Sie ist bereits überbelegt.
Solche Situationen sind keine Einzelfälle mehr in München. Ärzte, Krankenpfleger, Rettungssanitäter und Eltern berichten davon. "Wir mussten schon schwerst kranke Kinder nach Traunstein und Landshut bringen, weil es in dieser Stadt einfach keine Möglichkeit mehr gab, ein krankes Kind zu versorgen", sagt Florian Hoffmann, Oberarzt der Intensivstation der Haunerschen Kinderklinik. Er ist auch im Notdienst unterwegs und hat dabei schon erlebt, dass er nach der Reanimation eines Kindes 25 Minuten warten musste, bis die Leitstelle einen freien Klinikplatz durchgeben konnte. "In den vergangenen Monaten waren die Intensivstationen aller Kinderkliniken die meiste Zeit über abgemeldet", sagt er. Hoffmann und seine Kollegen mussten 15 Prozent aller Notfälle ablehnen. "Die Grundversorgung kranker Kinder ist nicht mehr gewährleistet", sagt der Arzt. "Wir haben ein ganz ernstes Problem und steuern auf eine Katastrophe zu."
Das Absurde dabei ist: Eigentlich hat München eine hervorragende medizinische Versorgung. Es gibt etwa 50 Kliniken, und viele von ihnen können sich zu den besten in Deutschland oder sogar weltweit zählen. Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland reisen an, um sich behandeln zu lassen, gerade bei komplizierten Operationen und schweren oder seltenen Krankheiten.
Auf der Internetplattform Ivena der Münchner Leitstelle kann man live verfolgen, wie sich ständig Kliniken abmelden, weil sie keine Patienten mehr aufnehmen können. Wenn dort für einen medizinischen Bereich bei allen Kliniken ein roter Balken aufleuchtet, gibt es keine freien Kapazitäten mehr. Viele Abteilungen der Kinderkliniken sind häufig abgemeldet, aber auch Notaufnahmen anderer Krankenhäuser. Das bekommen auch die Rettungssanitäter zu spüren. "Ich erlebe immer häufiger, dass wir eine Klinik zugewiesen bekommen, aber wenn wir in der Notaufnahme ankommen, ist die überbelegt, und wir müssen mit dem Patienten weiterfahren", sagt Christine Rother, die seit 30 Jahren als Notfallsanitäterin arbeitet. Das birgt nicht nur für die Patienten ein gesundheitliches Risiko; es ist auch für die Rettungskräfte und Ärzte eine große Belastung und kostet viel Zeit. "Wenn bei uns alles belegt ist, verbringen unsere Assistenzärzte in der Notfallversorgung mittlerweile viel Zeit mit Telefonieren, um eine Klinik zu finden", sagt Martina Heinrich. Die Oberärztin arbeitet seit knapp 20 Jahren in der Haunerschen Kinderklinik. Dass ein Patient weggeschickt werden muss, sei früher die Ausnahme gewesen.
Heute komme es fast täglich vor. Ein Besuch in der Haunerschen Kinderklinik: Viele Ärzte hier zählen bundesweit zu den renommiertesten ihres Faches. Das Uni-Krankenhaus der LMU liegt mitten in der Stadt, ein Altbau an der Lindwurmstraße. Seit 2013 ist ein Neubau in Großhadern geplant, es gab einen Architektenwettbewerb, der Baubeginn sollte 2018 sein. Doch das Projekt wurde verschoben, Zeitpunkt ungewiss. Es werden derzeit Pläne vorbereitet, heißt es von offizieller Seite.