Kritik:Groove des Gruselns

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Schreckgestalt: Max Schreck als Graf Orlock in Friedrich Wilhelm Murnaus Vampir-Klassiker "Nosferatu". (Foto: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung)

"Nosferatu" neu vertont: Das Ensemble "der/gelbe/klang" spielt Olav Lerviks Komposition in der Muffathalle.

Von Klaus Kalchschmid, München

Vor 100 Jahren fand die Uraufführung von Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm "Nosferatu" im Marmorsaal des Berliner Zoos statt. Gespielt wurde dazu die Musik von Hans Erdmann, die absurderweise erst in den Neunzigerjahren bei der Auflösung eines Musikantiquariats verloren ging. Immerhin existiert eine "Phantastisch-romantische Suite" zu "Nosferatu" aus der Feder des Komponisten von 1926, die schon Gillian B. Anderson und James Kessler für ihre Version von 2018 sowie Berndt Heller 2013 für die DVD-Veröffentlichung bei "Masters of Cinema" verwendet hat. Seine Musik ist für großes Orchester komponiert und benutzt auch populäre Werke zahlreicher anderer Komponisten. Sie folgt dem vielfachen Wechsel der Schauplätze genau, ist effektvoll und illustrativ, aber auch sehr dominant.

Ganz anders das, was jetzt Olav Lervik schrieb. Uraufgeführt in der Muffathalle, ist "Nosferatu" mit seiner neuen Musik auf der Internetseite des Auftraggebers Arte abrufbar sowie am 9. März im TV-Programm des Senders zu sehen. Davor gibt es eine skurril-unterhaltsame, aber enorm inhalts- und beziehungsreiche Doku.

Mal führt die Flöte, mal die Geige

Lerviks Musik ist für ein solistisch besetztes Mini-Orchester von gerade mal 15 Spielern komponiert, verwendet viele Motive Erdmanns, wölbt jedoch große, spannungsvolle Bögen über die einzelnen Szenen. Mal führt die Flöte, mal die Geige, und ein mit dem Bogen gestrichenes Becken erzeugt immer wieder einen gläsern unheimlichen Klang wie von einer singende Säge. Dann wieder raunen die tiefen Instrumente düster, oder es kommt bei Verfolgungsjagden ein vorwärtsdrängender Groove auf.

In der zweiten Hälfte mehren sich die Anklänge an Trauermärsche, und am Ende hat die Musik nicht nur Mitleid mit dem weiblichen Opfer, deren Liebe den Vampir vergessen lässt, dass Sonnenlicht ihn auslöscht, sondern auch mit Dracula selbst, hier Graf Orlok genannt, dessen Liebe nur zerstörerisch sein kann.

Das Münchner Ensemble "der/gelbe/klang" startet bei "Nosferatu" unter Armando Merino mit feinem, spannungsvollem Spiel eine Serie von vier Abenden mit Livemusik zu Stummfilmen. Gekrönt wird sie im Herbst von Erich von Strohheims "Blind Husbands".

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