Nokia Siemens Networks verlässt München:"Hartz IV statt Hightech"

Hunderte Mitarbeiter machen in München ihrer Wut über Nokia Siemens Networks Luft. Das Unternehmen hatte angekündigt, fast 3000 Jobs abzubauen und den Standort in der Landeshauptstadt komplett zu schließen. Viele hier machen das Management für die Entlassungen verantwortlich, von Siemens fühlen sie sich im Stich gelassen.

Anna Fischhaber

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Employees of Nokia Siemens Networks demonstrate in front of the German headquarters of NSN against job cuts in Munich

Quelle: REUTERS

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Hunderte Mitarbeiter machen in München ihrer Wut über Nokia Siemens Networks Luft. Das Unternehmen hatte angekündigt, fast 3000 Jobs abzubauen und den Standort in der Landeshauptstadt komplett zu schließen. Viele hier machen das Management für die Entlassungen verantwortlich, von Siemens fühlen sie sich im Stich gelassen.

Vor dem Hauptsitz von Nokia Siemens Networks in München-Giesing ist die Wut und Enttäuschung am Mittwochmorgen deutlich zu spüren. Am Tag zuvor hatten die 3600 Beschäftigten per Mail erfahren, dass der Standort des Unternehmens in der Landeshauptstadt komplett dichtmacht, jetzt demonstrieren Hunderte gegen den Stellenabbau. An der Betriebsversammlung am Morgen nahmen laut Veranstalter mehr als 2000 Menschen teil.

Employees of Nokia Siemens Networks demonstrate in front of the German headquarters of NSN against job cuts in Munich

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"Rettet auch unseren Standort München - nicht nur die Banken", steht auf den Transparenten, mit denen die Mitarbeiter trotz eisiger Kälte eine Stunde lang vor ihren Büros ausharren. Oder: "Hartz IV für München statt Hightech aus München und Innovation nur noch aus China." Voraussichtlich bis Ende des Jahres werden nach einer Entscheidung der Geschäftsführung des Netzwerk-Dienstleisters insgesamt fast 3000 Jobs in Deutschland abgebaut, circa 2000 davon in München.

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Physiker Clemens Suerbaum hält ein Schicksalsrad in die Luft. "Bislang kennen wir nur die Zahlen", sagt er. Das heißt: 2000 Menschen in München verlieren ihren Job, die übrigen 1600 Arbeitsplätze sollen an einen der fünf verbleibenden NSN-Standorte in Deutschland verlagert werden - also nach Ulm, Bonn, Berlin, Düsseldorf oder Bruchsal. "Jeder hofft jetzt natürlich, dass er unter diesen 1600 ist", sagt Suerbaum. "Für ein Kommunikationsunternehmen ist die Kommunikation grottenhaft schlecht, mit Fairness hat das nichts mehr zu tun."

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Suerbaum erzählt von einer Befragung unter den Mitarbeitern, nach der die Zufriedenheit mit dem Management von Nokia Siemens Networks um 30 bis 40 Prozent niedriger sei als in vergleichbaren Unternehmen der Branche. Die meisten der Demonstranten hier machen die Geschäftsführung für die Entlassungen verantwortlich. Die hatte entschieden, dass NSN effizienter werden müsse - schlecht für den Hauptsitz in München, Zentrale des Joint Ventures zwischen Nokia und Siemens, in dem viel Verwaltungsarbeit erledigt wird.

Mitarbeiter von Nokia Siemens Networks demonstrieren gegen Stellenabbau

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Groß ist in Giesing auch die Wut auf das Münchner Traditionsunternehmen Siemens. "Wenn es nicht anders geht, gehen wir auch auf den Wittelsbacher Platz", erklärt Michael Leppek von der IG-Metall. Dort ist die Zentrale von Siemens. Das Unternehmen hält 50 Prozent an NSN, verweist aber gerne darauf, dass die unternehmerische Führung beim finnischen Partner liege. "Die drücken sich vor der Verantwortung", sagt Leppek. Und über den Handyhersteller Nokia: "Wären die doch bei Klopapier und Gummistiefeln geblieben."

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Der Münchner NSN-Betriebsratsvorsitzende Horst Schön fordert vom Siemens-Konzern, Verantwortung für die Mitarbeiter zu übernehmen "und uns nicht auf die Straße zu werfen und zu entsorgen". Unter dem Beifall der Demonstranten sagt Schön: "Wenn jemand gehen muss, dann ist es unser Management." Auch Betriebsratsmitglied Carsten Riedl attackiert die Unternehmensleitung scharf: "NSN fährt seit Jahren einen Kurs, den keiner nachvollziehen kann."

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Überrascht habe ihn die Kündigungswelle nicht, sagt Softwareentwickler Richard Hund, der bereits seit 26 Jahren für Siemens in München arbeitet. Dass ein Stellenabbau drohe, sei bekannt gewesen. "Aber als die Manager gestern gesagt haben, dass sie die Mitarbeiter seit Jahren im finanziellen Blindflug steuern, war ich fassungslos." Dann stimmt er in das Pfeifkonzert ein, mit dem die Mitarbeiter an diesem Morgen ihrem Unmut über die geplante Schließung des Standorts Luft machen.

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Auch aus Augsburg sind Mitarbeiter angereist, auch der NSN-Standort dort, mit etwa 100 Beschäftigten, soll schließen. "Der Schock sitzt noch tief", sagt Servicetechniker Peter Wintersberger. Auch er weiß bislang nicht, ob sein Arbeitsplatz wegfällt oder verlegt wird. "Ein Umzug wird für mich schwierig. Ich habe zwei Kinder und gerade sind meine Eltern in die Nähe gezogen", erzählt er. "Aber ich bin sowieso nicht sicher, ob die da oben wirklich wollen, dass wir umziehen. Vielleicht ist das auch nur ein Alibi."

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Wie es mit ihnen weitergeht, sollen die Mitarbeiter von Nokia Siemens Network in den kommenden Tagen erfahren. Viel Hoffnung hat in München allerdings kaum mehr jemand. "Unsere einzige Chance ist, dass wir geschlossen auftreten", sagt Wintersberger. "Aber an der Unternehmensentscheidung wird wohl nicht mehr zu rütteln sein."

© Süddeutsche.de/bica
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