Nockherberg 2013:Mit Horst im Forst

Ob Seehofer, Steinbrück oder Söder: Im Wahljahr 2013 bleibt kaum ein Politiker beim Starkbieranstich am Nockherberg verschont. Singspiel-Regisseur Marcus H. Rosenmüller besinnt sich in München wieder auf die Wurzeln des Derbleckens und Luise Kinseher schreckt als Bavaria nicht einmal vor Herrenwitzen zurück.

Von Wolfgang Görl

Mittwochabend auf dem Nockherberg: Soeben hat Ministerpräsident Horst Seehofer die erste Maß Salvator angetrunken, die Erwartung des Pokalspiels Bayern gegen Dortmund schwebt im Raum, doch vorerst konzentrieren sich die gut 400 Freibiertrinker auf die Rede Luise Kinsehers, der Bavaria. Und die legt gleich mal los: "Morgen ist es vorbei. Dann tritt der wichtigste Bayer der Welt zurück. Dann waren wir mal Papst. Dann haben wir nur noch Horst Seehofer."

Großes Hallo, das noch größer wird, als "die verbrauchte Ministerin" Ilse Aigner ins Visier der Bavaria gerät: "Unsere bayerische Dirndl-Ikone. Der Brüderle würde sagen: 'Hauptsache, die Füllung stimmt'." Da schau her, auch Herrenwitze erlaubt sich die Mutter der Bayern. Mit Blick auf Christian Ude aber wird sie ernst: "Ich sage nicht, dass du am Verglühen bist, aber von Leuchten kann man auch nicht reden."

Mütterlich verständnisvoll wie in früheren Reden gibt sich Kinsehers Bavaria diesmal nicht. Sie erinnert an Kaiser Ludwig den Bayern, an die Schlacht von Mühldorf und vergleicht den bayerischen Wahlkampf mit einer Seeschlacht. Seehofer ist natürlich "Horst, der Zerstörer", der auch mal den eigenen Laden in die Luft jagt, währenddessen FDP-Koalitionspartner Martin Zeil mit einem Schlauchboot hinterher schippert, "bei dem hinten schon ganz langsam die Luft hinausgeht". Und Ude? Der ist der "Traumschiffkapitän". Wenn seine SPD alle fünf Jahre ein Prozent Wählerstimmen dazugewinnt, hat sie schon in 200 Jahren die absolute Mehrheit.

Bedauerlich findet Mama Bavaria, dass SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück dem Nockherberg fern geblieben ist. "Dem war die Antrittsgage zu gering." Dafür ist Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger da, der gegen jeden kämpft und es mit jedem kann. "Er ist offen nach allen Seiten. Also ein Swingerklub ist dagegen eine vergleichsweise katholische Veranstaltung." Auch für Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU kommt es dick: "Wäre Hans-Peter Friedrich ein Frachter auf hoher See, würden Möwen auf ihm nisten, weil sie ihn für eine Insel halten."

Das Lieblingsopfer der Derbleckerin aber bleibt Finanzminister Markus Söder, der beiläufig eine Watschn nach der anderen einstecken muss. Gegen Ende empfiehlt die Bavaria, den Nürnberger Flughafen nach Söder zu benennen. "Stattdessen benennt Ikea nach dir einen Lampenschirm. Da ist Söder ein mäßig effizienter Armleuchter von mittlerer Lebensdauer."

Das gefällt der Salvatorgemeinde, der Applaus ist ordentlich - wenn auch nicht enthusiastisch. Und es kommt ja noch das Singspiel, mit einer Premiere: Erstmals führt der Filmemacher Marcus H. Rosenmüller ("Wer früher stirbt ist länger tot") die Regie.

Vorsicht vor Gemütlichkeit

Nebelschwaden wabern durch den Bühnenraum, der möbliert ist mit allem, was den deutschen Wald auszeichnet: Hirsch, Uhu, Schwammerl und einem mächtigen Baumstamm. Waldschrate und Vögel, groß wie Menschen, geistern durch den Tann, zu Gitarre und Bläsertröten singen sie ein Lied. Die Melodie dürfte noch dem unmusikalischsten Zecher im Paulaner-Festsaal bekannt vorkommen: "Ein Prosit der Gemütlichkeit." Doch halt! Der Text ist leicht verfremdet: "Vorsicht vor Gemütlichkeit."

Und da wandern auch schon zwei Männer durchs Idyll, der eine bepackt wie ein Esel, der andere ohne Last und dennoch schwer am Schleppen. Was hat der nicht alles auf dem Buckel? "Die Verantwortung für Bayern, für die CSU, für die absolute Mehrheit." Unten am Biertisch grinst Seehofer, denn der da oben ist sein Doppelgänger: Wolfgang Krebs respektive der "Horst".

Starkbieranstich auf dem Nockherberg

Wahlkampf mit allen Mitteln: die Schauspieler Uli Bauer als Christian Ude (l.) und Wolfgang Krebs als Horst Seehofer im Singspiel.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Auch Söder, der echte, grinst. Vielleicht - aber das ist eine Vermutung - etwas gequält, denn was er da sieht, kann ihn kaum erfreuen: Horst ist der Herr, Markus der Knecht. Als solcher schleimt er sich ein, buhlt mal süßlich, mal mit markigen Sprüchen um die Gunst des Chefs: "Horst spürst es ned? Die Welt liegt uns zu Füßen?" Und schließlich mimt Söder, gespielt vom wie immer famosen Stephan Zinner, einen Kraftprotz à la Putin. "Männer wie Stiere, geboren für die Macht", kräht er zu Kasatschok-Klängen.

Überhaupt die Musik: Rosenmüllers musikalischer Weggefährte Gerd Baumann hat großartige Songs für das Singspiel komponiert: Melodien, die schon beim ersten Hören ins Ohr gehen, raffinierte Arrangements, die atmosphärische Wirkung entfalten. Souverän treibt er sein Spiel mit der bayerischen Volksmusik, mal wartet er mit einem Zwiefachen auf, mal mit zünftiger Blasmusik.

Generell hat sich Rosenmüller, anders als sein Vorgänger Alfons Biedermann, wieder auf die bayerischen Wurzeln des Derbleckns besonnen. Die Bundespolitik kommt nur am Rande vor, in erster Linie in Gestalt des SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück, den Andreas Borcherding als raffgierigen Karrieristen darstellt, dem der Kanzlerposten nicht lukrativ genug ist. Er kandidiert ja nur, weil ihn die "Domina" Andrea Nahles gezwungen hat. Jetzt ist er in die Waldeinsamkeit geflohen - denn: "Am beliebtesten bin ich beim Wähler, wenn er mich nicht hört oder sieht."

Ansonsten aber hat sich Textautor Thomas Lienenlüke auf den bayerischen Wahlkampf konzentriert. Und so erscheint, kaum dass Seehofer und sein Knecht Söder verschwunden sind, eine bunte Wandervogeltruppe, die die beiden Testosteron-Bolzen in Pension schicken will: "Politikaufstand in Bayern, alle Fahnen wehen rot, die CSU hört auf zu feiern, sie bekommt ihr Gnadenbrot." Christian Ude (Uli Baur), Margarete Bause (Margret Völker) und Hubert Aiwanger (Stefan Murr) schlagen ihr Zelt auf und führen gleich mal Koalitionsgespräche. Abschaffung der Studiengebühren, sanfter Donauausbau - alle sind dafür. Nur leider: der Seehofer auch. "Aber doch nur aus Kalkül."

Für Söder wiederum laufen die Dinge schlecht. Ilse Aigner, als schrille Dirndl-Fetischistin verkörpert von Angela Ascher, schmeißt sich an Seehofer ran: "Du und ich, Horst, wir zwei allein im Forst, Horst." Etwas unvermittelt taucht dann noch ein Förster (Gerhard Wittmann) auf, der sich als Sohn von Franz Josef Strauß entpuppt und genauso gut Latein spricht wie der Herr Papa.

Das ist alles amüsant aberwitzig, lediglich ein paar Pointen mehr hätten dem Singspiel gut getan. Schön bös ist das Schlusslied, das all die hohlen Wahlversprechen der Politiker aufs Korn nimmt. Alles in allem ein sehr gelungenes Debüt: tolle Musik, großes Theater, langer Beifall.

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