Süddeutsche Zeitung

Nockherberg 2010:"Bruder Barnabas wird zum Anwalt des Volkes"

Was Westerwelle mit Haider gemein hat und welchen Politikern die Angst besonders anzumerken ist: Lerchenberg und Springer über ihre Fastenpredigt.

M. Ruhland

Die Rede ist natürlich geheim. Aber so viel ist sicher: Der Fastenprediger Michael Lerchenberg alias Bruder Barnabas wird auf dem Nockherberg am kommenden Mittwoch (19 Uhr, live im BR) alle Register ziehen, um den Politikern ordentlich die Leviten zu lesen. Mal deftig derb, mal hintersinnig stichelnd. Die Würze hat Lerchenberg der Predigt gemeinsam mit dem Kabarettisten Christian Springer verpasst. Ein Gespräch über die Kunst des Derbleckens.

SZ: Barnabas Bögle, Abt des Klosters Ettal, ist vor wenigen Tagen auf Drängen des Generalvikars zurückgetreten. Die katholische Kirche tut sich schwer mit dem Aufarbeiten der Missbrauchsfälle. Ist Selbstkasteiung angesagt, wenn Bruder Barnabas auf die Kanzel steigt?

Michael Lerchenberg: Erstens einmal ist Bruder Barnabas ein Paulanermönch und kein Benediktiner. Das ist schon mal ein Vorteil. Außerdem ist er nicht im Schuldienst tätig, sondern in der Brauerei. Selbstkasteiung gibt's also nicht.

Christian Springer: Wir sind ja auch in einer Ära des Neubeginns. Die CSU bricht ja auch mit ihrer Vergangenheit. So wird es bei der Kirche womöglich auch sein.

SZ: Auch die Kollegen der anderen Konfession haben Grund zur Buße. Frau Käßmann hat gerade eine Steilvorlage geliefert: Sie zeigte sich als reuige Sünderin.

Lerchenberg: Das ist wirkliche Ökumene. Im Vorgriff auf den Kirchentag in München ist das doch wunderbar: Wenn beide großen deutschen Glaubensgemeinschaften jeder für sich sein Berglein abzuarbeiten haben.

Springer: Ich hab mich echt gefreut, weil ich mir dachte: Jetzt saufen die Evangelischen auch endlich mal. Endlich dringt der Genuss, dass Sinnenfrohe durch.

SZ: In Bayern hätte man im gleichen Fall einem katholischen Bischof vermutlich auf die Schulter geklopft und gesagt: Gut, dass du noch fahren konntest.

Lerchenberg: Ja, wahrscheinlich schon. Oder: Ein verreckter Hund ist er schon. Oder vielleicht lässt ihn die Polizei auch weiterfahren...

Springer: ...oder sie würden sagen: 1,5 Promille! Sigst, des hast jetzt davon, dass du so früh gegangen bist.

SZ: Also werden die kirchlichen Sündenfälle eine Rolle in der Fastenpredigt spielen?

Lerchenberg: Schon, wobei man sagen muss. Die Trunkenheitsfahrt Frau Käßmanns ist nicht die gesellschaftspolitisch relevante Geschichte.

SZ: Passt aber zur Fastenzeit. Lerchenberg: Jetzt könnte man sagen: Der synodale Beckstein ist vielleicht auch schuld daran, weil Frau Käßmann sich an seinen Rat mit den berühmten zwei Maß Bier gehalten hat, dass man danach noch fahren kann.

SZ: Beckstein hat sie ja gleich exkulpiert.

Lerchenberg: Ja, der wusste schon warum. Aber zurück zur katholischen Kirche: Interessant ist für uns, wie mit dem Missbrauchsthema umgegangen wird. Was Herr Mixa von sich gibt und wie Frau Merk sich da dran hängt. Dann wird es erst richtig unappetitlich. Wie man versucht, andere Kriegsschauplätze aufzumachen. Der Nockherberg ist aber doch eine Veranstaltung, auf der der Humor nicht zu kurz kommen soll. So haben wir auf das Outen des Bruder Barnabas als Missbrauchsopfer eines Benediktinermönchs in der Augsburger Erzdiözese verzichtet.

SZ: Seit die CDU/CSU im Bund mit der FDP regiert, kann man mit Fug und Recht von einer Koalition der Zwietracht reden. Könnten die sich zankenden Politiker ein Leitmotiv ihrer Predigt sein?

Lerchenberg: Das Zanken als solches weniger. Es geht um die Inhalte: Warum zanken sie sich. Das ist viel spannender. Wo man sich reibt, oder welche Sau gerade durchs Dorf getrieben wird.

Springer: Wenn man die Zankerei analysiert, ist das ein Zeichen der Schwäche. Dieses Maulaufreißen ist ja ein Schreien von waidwunden Tieren. Die CSU ist so weit unten wie noch nie. Die FDP sackt von einem 14/15-prozentigen Anteil auf einen Anteil 5 plus x ab. Sie stehen vor einer sehr schwierigen Wahl in Nordrhein-Westfalen. Sie kämpfen um ihre letzten Pfründe.

Lerchenberg: Es ist die blanke Hysterie.

Springer: Deshalb ziehen Politiker Themen raus, die nur dazu dienen, vorne in der Schlagzeile aufzutauchen. Und das interessiert uns natürlich schon.

SZ: Deutschland ist gerade Westerwelle-Land. Er rückt sich in den Mittelpunkt und spielt das Enfant terrible. Bestes Beispiel ist die Sozialstaatsdebatte, die er wahrscheinlich deshalb angestoßen hat, um im Gespräch zu bleiben.

Springer: Ausschließlich deshalb. Denn das, was er verlangt, nämlich dass Hartz IV-Empfänger, wenn sie angebotene Arbeiten über einen gewissen Zeitraum nicht annehmen, in irgendeiner Weise sanktioniert werden - das ist ja schon Gesetz.

Lerchenberg: Das ist eine ganz perfide Methode, die man im Prinzip von Haider kennt. Und Westerwelle überholt im Moment die CDU rechts. Eine Bevölkerungsgruppe gegen die andere auszuspielen, ist eine ausgesprochen unappetitliche Form der Politik. Wobei ich sagen muss: Ich warte schon lange darauf, dass in Deutschland einer versucht, Haider zu kopieren und den Erfolg, den er mit seiner Demagogie und seiner Polemik in der österreichischen Politik hatte, auf deutsche Verhältnisse zu übertragen. Westerwelle ist jetzt soweit. Springer: Guido Westerwelle ist ausschließlich durch Populismus bekannt geworden. Das war die 18 auf der Schuhsohle, das ist das Guidomobil, das war der Container bei Big Brother. Auch Haider war ein Populist. Nur Autofahren konnte er schlecht.

Lerchenberg: Vielleicht war Haider evangelisch...

SZ: So viel ist klar: Westerwelle wird von Bruder Barnabas nicht mit Samthandschuhen angefasst werden.

Springer: Die Rede lebt natürlich von den Gegenschnitten. Das heißt, Bruder Barnabas spricht über Leute, die unten im Publikum sitzen. Ein paar kleine Themen gehen natürlich dadurch verloren, dass die entsprechenden Leute nicht da sind, weil es viel spannender ist, über die etwas zu sagen, die unten sitzen.

SZ: Das Bayerische Kabinett wird auf jeden Fall da sein - und liefert bestimmt genügend Stoff zum Derblecken. Die CSU findet ja auch mit ihrem Schwergewicht Seehofer nicht zurück zu alter Stärke. Ist die Zeit der allmächtigen Staatspartei endgültig vorbei?

Lerchenberg: Das wird man sehen, das kann man jetzt noch nicht sagen.

Springer: Wieso? Ich schon.

Lerchenberg: Na ja, ich bin da vorsichtig. Die Frage ist auch, wer davon profitiert, wenn die CSU schwach ist.

SZ: Und wer profitiert?

Lerchenberg: Das ist ja das Gespenstische. Okay, die Grünen, das ist nachvollziehbar. Die FDP, das sind Kriegsgewinnler, und sonst gar nichts. Die Freien Wähler brechen als Alternative weg, weil sie sich nicht positionieren. Und die SPD? Das Thema muss man nicht vertiefen.

SZ: Statt aus dem Regierungsdilemma Kapital zu schlagen, fiel sie bei den letzten Wahlen ins Bodenlose. Viel bleibt da für einen Prediger nicht mehr zum Draufhauen, oder?

Lerchenberg: Die schlagen sich selbst schon genug, das ist richtig. Man muss sich wundern, dass der Fall immer noch tiefer geht. Generell gilt: Dieses Jahr ist die Themenlage so komplex, wir müssen eine starke Gewichtung vornehmen. Und da gibt es zwangsläufig kleinere und größere Anteile.

Springer: Bruder Barnabas wird immer mehr zum Anwalt des kleinen Volkes. Die alte Parteienlandschaft löst sich auf, und die Menschen draußen haben das Gefühl, dass die Politik gegen sie regiert. Es ist nicht mehr CSU oder SPD, aus denen man sich den Besseren raussucht, sondern die Leute haben das Gefühl, sie werden ausgenommen, ihre Kinder werden nicht gut versorgt, die Alten auch nicht. Und es wird schlimmer werden, weil das Geld hinten und vorne fehlt. Das ist für uns schon ein sehr großes Thema.

Lerchenberg: Man darf nicht vergessen, dass der Nicht-Wähler inzwischen die größte Fraktion im Bundestag stellt. Dass die Piratenpartei aus dem Stand nur mit einem Programm des Protestes bei den Jungwählern zwölf Prozent holt - das ist Wahnsinn und eigentlich eine Revolution. In der allgemeinen politischen Landschaft wird das gar nicht diskutiert. Dabei heißt das doch: Merkt ihr eigentlich, wie ihr vollkommen an den Bedürfnissen der Bürger vorbei regiert?

SZ: Auf bayerischer Ebene hat die FDP zwar viele Stimmen bekommen, aber an fähigen Leuten mangelt es. Zum Derblecken eine "gmahde Wiesn"?

Springer: Das sind alles Notlösungen. Motto: Wir sind gewählt worden, jetzt müssen wir regieren.

Lerchenberg: Aus Versehen gewählt worden, das trifft es am besten. Eigentlich wäre das ja eine Chance. Der eine nutzt sie, der andere eben nicht.

SZ: Wer ist der schärfere Hund von Ihnen beiden?

Lerchenberg: Das sollten wir nicht verraten. Überhaupt: Was ist Schärfe? In Bayern gibt es ja das schöne Wort "hinterkünftig". Der hinterkünftige Witz, die stille Pointe, die sich von hinten heranschleicht, kann oft die viel bösere sein. Entscheidend ist die Schärfe der Analyse. Und da nehmen wir uns nichts. Springer: Wir steigern uns rein. Wir pushen uns gegenseitig. Lerchenberg: In erster Linie haben wir einen großen Spaß daran. Das ist ganz wichtig.

SZ: Nicht alles, was sich als kreative Einfälle zu Papier bringen lässt, lässt sich auch in die Fastenpredigt packen. Nach welchem Kriterienkatalog wählen Sie aus?

Springer: Wir sind zeitlich beschränkt. Das ist die größte Mauer, die es gibt. Inzwischen könnte der Michael drei Stunden reden, wenn wir das Material, das wir haben, hernehmen würden. Das Gute: Wir arbeiten auf einer Basis zusammen, wo man sich nicht viel erklären muss. Da ist eine gewisse Art von bayerischem Humor da, da ist ein Wissen um die bayerische Kultur. Kurz: Es ist ein bayerisch-katholischer Ur-Baaz da. Predigt, Kirche, Mönche, Gottesdienst - andere Autoren müssten sich einlesen. Wir wissen seit der Kindheit, wie das riecht.

SZ: Wie finden Sie die richtige Balance zwischen ätzender Schärfe, hinterfotzigem Witz und humorvollem Den-Finger-in-die-Wunde-legen?

Lerchenberg: Es gibt Situationen, da bedarf es des Schwertes oder sogar des Holzhammers. Weil es anders nicht begriffen wird. Und dann gibt es Momente, da genügt das Florett, vielleicht sogar das Taschenmesser. Durch die lange Nockherberg-Erfahrung wissen wir, wann zum Beispiel die Roten lachen oder die Schwarzen. Damit spielen wir natürlich. Der Nockherberg ist aber keine Faschingsveranstaltung. Bruder Barnabas muss auch mal sagen: Jetzt ist Schluss mit lustig. Man kann über Kinderarmut keine Witze machen. Springer: Wir schreiben gewissermaßen auch eine Rolle fürs Publikum. Die müssen ja mitspielen. Es gibt eine ganz feste Sitzordnung auf dem Nockherberg. Man kann in die Rede dadurch Sachen reinschreiben wie: Sie, Frau X, stupsen'S doch mal den Herrn Y an. Das wirkt schön fürs Publikum.

SZ: Die dort unten können sich nicht wehren, müssen sogar gequält lächeln, sonst gelten sie als Spielverderber - das ist Teil des Nockherberg-Rituals. Die Macht liegt für eine Stunde in ihren Händen. Ein schönes Gefühl?

Lerchenberg: An Machtgefühle denkt man da nicht. Das wäre auch ein Missbrauch. Sonst würde ja der Nockherberg zur Folter, das soll er nicht sein. Wichtig ist der sehr bayerische Humor, das Derblecken. Das kann eine Geste sein, eine Pause, die man gut setzt, ein boshaftes Lächeln. Es geht nicht um Macht - Spaß macht's. Nicht nur beim Schreiben, sondern auch beim Spielen.

SZ: Und das Publikum gleicht dem Kirchenvolk, das vor der Predigt einen Mordsrespekt hat.

Lerchenberg: Ich seh' immer noch den Erwin Huber bei der ersten Barnabas-Predigt 2008 unten sitzen. Als ich von der Kanzel runterwetterte, wurde der in seinem Stuhl immer kleiner. Es greifen genau die Reflexe, die ich aus der Zeit der Kanzelpredigt in der Kirche kenne.

Springer: Andererseits denk ich mir: Der ist damals aus einer Landesbanksitzung gekommen. Und oben wettert Barnabas über Milliönchen. Da wurde Huber blass, weil er wusste: Das alles wird noch viel, viel schlimmer.

SZ: In der Tat glaubten wir alle im vergangenen Jahr, dass das Landesbank-Desaster schon der Gipfel war. Jetzt kam es mit Hypo Alpe-Adria noch dicker. Daran werden Sie nicht vorbeikommen?

Lerchenberg: Was ist Hypo Alpe-Adria? (lacht schallend) Nie gehört!

Springer: Der Ministerpräsident hat doch verboten, dass man darüber spricht.

Lerchenberg: Wenn man eine österreichische Weltbank aufkauft, und vor allem von wem man sie gekauft hat - das ist schon lustig, wenn's nicht so traurig wäre.

Springer: Jede Woche kommen neue Themen. Manche fallen wieder raus, andere rein.

SZ: Nun ist der Nockherberg bei aller großen Politik in erster Linie eine Münchner Veranstaltung. Oberbürgermeister Christian Ude hat sich in Vancouver auf englisch einen gewaltigen Fauxpas erlaubt, als er das Oktoberfest-Attentat unterschlug...

Lerchenberg: ...das ist der Morbus Oettinger.

Springer: Wetterwelle hat angefangen. Das muss eine Seuche sein.

SZ: Wird Ude sein Fett abbekommen?

Springer: Er ist der Chef von München. Da kommen wir gar nicht drumherum.

Lerchenberg: Der ist doch ein dankbarer Kunde.

SZ: Am kommenden Dienstag lässt er sich mit den Olympioniken auf dem Marienplatz feiern.

Lerchenberg: Ich hoffe nur, dass er geschaut hat, ob die Stadt das überhaupt darf. Nicht, dass das IOC da die Rechte drauf hat. Vielleicht ist auch der Nockherberg nach den olympischen Ausschreibungskriterien schon verboten.

Springer: Er kommt ja von Olympia und hätt's am liebsten gleich mit rübergebracht. Das ist natürlich ein Thema, an dem wir nicht vorbeikommen wollen.

Lerchenberg: Dadurch wird die Nockherberg-Predigt eine international beachtete Rede!

Springer: Englisch simultan. Da müssen wir aber ganz genau hinschauen, wer das dann macht. SZ: Vielleicht ist es mit dem Nockherberg ja ein wenig wie mit den Steuersünder-CDs. Allein ihre bloße Existenz bringt die Sünder schon dazu, dass sie Reue zeigen und Buße tun.

Lerchenberg: Ich weiß es explizit von Edmund Stoiber, dass man den Nockherberg in der Staatskanzlei sehr genau analysiert hat. Wie kommt Stoiber rüber, wie die Politik der CSU, wie die der Opposition. Die Nockherberg-Predigt ist eine politische Rede. Nur: Man erwartet eine Allparteienrede. Und man setzt sich mit ihr auseinander - vorausgesetzt, die Rede ist gut. Wenn man genau draufschaut, kann man die ein oder andere Veränderung feststellen.

Springer: Wir können nur hoffen, dass der Nockherberg nicht allzu orakelhaft wirkt. Denn wenn sich die Politik dann immer zum Positiven wenden würde, kommt es eines Tages noch soweit, dass es keinen Nockherberg mehr braucht. Und das wollen wir ja auch nicht.

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