Nitro-Cocktails:Perlacher Forst on the rocks

Es schäumt, es raucht, es gibt Piña Colada mit Lavendel und kühle Cocktails mit heißem Schaum: Der Australier Matthew Bax will München demnächst die vielleicht spektakulärsten Gläser auf die Theke stellen: Nitro-Drinks.

Thomas Becker

Eine Einfahrt, ein Gärtnerplatz-Hinterhof, dann geht es runter in den Keller. An den Wänden: abstrakte Kunst, Acryl auf Holz und Leinen. Die Motive: Bücherstapel, kleinformatige Blumenteppiche, mannshohe Hausschuhe. Auf dem Tisch: Pinsel, Farbtuben, Schwämme - und ein riesiges Destilliergerät, daneben ein Dutzend alter Martini-Flaschen, Gurken- und Einmach-Gläser.

Nitro-Cocktails: "Die Leute sollen Drinks nicht nur schmecken, sondern riechen, sehen, hören, das Glas fühlen. Alle Sinne sollen angesprochen werden", sagt Matthew Bax. Er ist der Einzige auf der Welt, der das molekulare Mixen geschafft hat. Sagen Fachleute.

"Die Leute sollen Drinks nicht nur schmecken, sondern riechen, sehen, hören, das Glas fühlen. Alle Sinne sollen angesprochen werden", sagt Matthew Bax. Er ist der Einzige auf der Welt, der das molekulare Mixen geschafft hat. Sagen Fachleute.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Willkommen im Reich von Matthew Bax! Der Australier ist Maler, ehemaliger Steuerberater und der Mann, der dieser Stadt bald die spektakulärsten Gläser auf die Theke stellen wird: Nitro-Drinks, molekulare Cocktails.

Wer verstehen will, was diesen immer etwas unruhig wirkenden Enddreißiger treibt, muss mit Experten reden: Cocktail-Fachjournalisten - was für ein Job, aber auch eine Wissenschaft für sich.

Matthew Bax, sagen die Fachmänner, ist einer der wenigen, der das molekulare Mixen geschafft hat; mit all den Maschinen, die sonst in der Pharmaindustrie benutzt werden. Und er gilt auch als der Einzige, der diese Kunst erfolgreich mit den Techniken des Fine Dining und des progressiven Kochens von Chefköchen verbunden hat. Und er war der erster Barkeeper, der zur Food-Messe "Madrid Fusion" eingeladen wurde.

Vor ein paar Jahren gab es in Deutschland einen Trend zum molekularen Mischgetränk, der sich nicht durchsetzte. Bax macht es immer noch: Cocktails, bei denen Trockeneis mit flüssigem Stickstoff aus dem Glas wabert. Es schäumt, es raucht, es gibt Piña Colada mit Lavendel: kühler Drink unten, heißer Schaum oben. Das alles nicht im gewöhnlichen Cocktail-Glas.

Man bekommt schon mal eine Bibel in die Hand, in deren Einband ein Flachmann mit dem gewünschten Drink schlummert. Oder im Tetra-Pak. Oder im Spielzeug-Style als Dosen-Telefon. Kunst im Glas, das Erlebnis Drink. Bax sagt: "Die Leute sollen Drinks nicht nur schmecken, sondern riechen, sehen, hören, das Glas fühlen. Alle Sinne sollen angesprochen werden."

Erdbeeren ohne Marmeladengeschmack

Bax macht Live-Destillationen. Mit Niederdruck-Destillationsgeräten hinter der Theke. Wie gesagt, eine Wissenschaft: Wasser kocht bei 98 Grad - wenn man den Druck reduziert, kann Wasser und Alkohol bei wesentlich geringeren Temperaturen kochen und somit destilliert werden.

Der Vorteil: Flüchtige Öle wie zum Beispiel in Rosen oder Rettich werden so nicht mehr zerstört und können über die Destillation wieder in die Spirituose gebracht werden. Wer Erdbeeren normal destilliert, erhitzt sie zu stark, was einen Marmeladengeschmack ergibt. Mit Bax' Methode und den sündhaft teuren Gerätschaften ist das Aroma anders: frisch.

Der Haken an der Sache: Diese Art von Cocktails gibt es noch nicht in München, sondern bislang nur in "Der Raum", Bax' Bar in Melbourne, einem zigfach preisgekrönten Refugium, wo die Flaschen Bungee-mäßig mit Kontergewichten von der Decke hängen, wo es allein 24 Absinth-Sorten gibt und wo nur reinkommt, wer den Code für die Tür kennt. Angefangen hat Bax hier mit deutschem Bier und deutschem Schnaps, in einer Zeit, als es in Australien weder eine Cocktail-Kultur noch den Zuckerrohr-Schnaps Cachaca zum Mixen gab. Heute kosten seine Cocktails 18 Euro aufwärts, sind dafür aber einzigartig.

Bax' Philosophie: "Die Welt braucht nicht noch eine weitere klassische Bar. Wir suchen nach neuen Flavours und neuen Wegen, diese Flavours vorzustellen. Daiquiri haben wir nicht in der Karte. Wir machen dir schon einen, aber wenn du zu uns kommst, sollst du auch unsere Drinks probieren. Das wäre sonst Verschwendung. Guten Wein, gutes Bier und klassische Drinks gibt es auch woanders. Man muss das probieren, was die Bar einmalig macht. Oft geht es in Bars mehr um den Trick als um den Geschmack. Wir machen keine Angeber-Mixerei, versuchen, nicht den Moden anderer Bars zu folgen. Wir wollen etwas Neues, Anderes kreieren: präzisere Drinks, mit besserer Konsistenz - dazu müssen wir jedes Element des Drinks anschauen."

So wie Bax das in seinem Atelier-Keller tut, in seiner Experimentierstube. Wenn Pinsel und Farbtube Pause haben, betreibt Bax Grundlagenforschung in Sachen Geschmack, schnuppert in seine Martini-Flaschen und Gurkengläser: eingelegte Birken-Rinde, Linden-Honig-Essig, Früchte in Wermut und Wacholder, Prosecco-Essig im Kirschholzfass, Wermut-Essig im Eichenfass.

"Es gibt so viele Früchte zurzeit", meint Bax, schraubt das nächste Glas mit farbloser Flüssigkeit auf, lässt einen die Nase reinhalten und sagt: "Perlacher Forst." Er sieht das Fragezeichen im Gesicht des Gegenüber und erklärt: "Eine Handvoll Erde aus dem Wald, destilliert. Ich bin gerade auf der Suche nach einem Winter-Drink."

So funktioniert das Prinzip Bax: nicht zusammenschütten, was jeder im Laden kaufen kann, sondern wirklich neue Gerüche und Geschmäcker finden. Und dazu nicht Mangos aus Übersee importieren, sondern die Früchte vom nächstbesten Strauch probieren, in den verschiedenen Reifestadien. Die blassroten Beeren, die er gerade gesammelt hat, sind jedenfalls noch so bitter wie die Champions-League-Niederlage der Bayern.

Eingelegte Birken-Rinde, Linden-Honig-Essig, Früchte in Wermut und Wacholder

Bax ist nämlich auch Fußballfan, er schafft es, im Bayern-Trikot genau so authentisch zu wirken wie im schicken Anzug, wenn er zu Präsentationen zu Cocktail-Kongressen durch die Welt jettet, was er der Freundin zuliebe einschränken will. Den "Tippling club", sein Bar-Restaurant in Singapur, hat er abgegeben, mit den Geschäftspartnern in Melbourne konferiert er per Skype.

Seit er in Griechenland eine Frau aus Schwabing kennengelernt hat, liegt sein Schwerpunkt nun seit eineinhalb Jahren wieder in München, wo er früher schon gearbeitet hatte: als Unternehmensberater für KPMG. Nebenbei, und um seine Malerei zu finanzieren, jobbte er im "Havana Club" in der Herrnstraße und bei Charles Schumann, über den er sagt: "Wenn ich einen Bar-Helden hätte, wäre er es. Er bleibt bei seinen Ideen, folgt keinen Trends. Und er ist ein Gentleman."

Das Konzept von Schumann's Tagesbar sei "einzigartig in der Welt", schwärmt Bax, der schon seit Monaten auf der Suche nach der richtigen Bar-Location ist. "Die Goldene Bar ist so eine once-in-a-lifetime-location", sagt Bax und scherzt: "Ich muss halt den Klaus Gunschmann killen und seine Schlüssel klauen."

Bax glaubt, in München sogar eine bessere Version von "Der Raum" hinzubekommen: "In Melbourne musste ich ständig die Jungs ausbilden - das müsste hier besser gehen. Deutsche Barkeeper gehören zu den besten der Welt."

Und München sei eine Cocktail-Stadt, meint Bax: "Es ist hier nichts Außergewöhnliches, einen Cocktail trinken zu gehen. Das ist nie aus der Mode gekommen. In London bekam man vor 15 Jahren nur in den Hotels einen ordentlichen Drink." Zudem sei Alkohol in München gar nicht so teuer, jedenfalls im Vergleich zu Down Under. "Australier trinken eine Menge", sagt Bax, "in Melbourne klauen sie mir ständig die Gläser. Deutsche sind da disziplinierter."

Und so sucht Matthew Bax weiter: nach einer Location, nach neuen Geschmäckern. Er sagt: "Wir haben gelernt, bessere Drinks zu machen, mit neuen Technologien. Ein Chefkoch startet auch mit etwas, was er nicht kann - und sucht dann den Weg, wie er es trotzdem schafft. Wir müssen uns selbst fordern. Sachen probieren, die nicht so einfach sind. Eine Bar braucht Logik und Magie. Bei uns gibt es nur Magie - ein denkbar schlechtes Geschäftsmodell", meint der gelernte Steuerberater.

Und dann ist da ja noch die Malerei, Bax' erste Liebe, die ihm viel mehr Disziplin abverlangt als seine Bar-Arbeit. Aber das ist jetzt echt eine andere Geschichte.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: