Süddeutsche Zeitung

Interview:Abschied vom Dampfer

Nikolaus Bachler geht von Bord. Der Intendant der Bayerischen Staatsoper spricht über verlogene Sentimentalität, den Zauber des Vergänglichen und die Kunst, sich nicht in alles einzumischen.

Von Egbert Tholl, München

Nikolaus Bachler geht. Der gelernte Schauspieler (Max-Reinhardt-Seminar) wurde 2008 Intendant der Bayerischen Staatsoper, als Nachfolger von Sir Peter Jonas. Davor leitete er in Wien die Festwochen, die Volksoper und das Burgtheater. Ein bisschen was zu leiten hat er auch in Zukunft noch: 2020 wurde er Geschäftsführer der Salzburger Osterfestspiele, deren künstlerische Gesamtverantwortung er vom nächsten Jahr an innehat.

SZ: Herr Bachler, was war Ihre größte Niederlage in den 13 Jahren Ihrer Intendanz in München?

Nikolaus Bachler: Daran kann ich mich nicht erinnern.

Und der größte Erfolg?

Das Biotop Staatsoper. Die Art und Weise, wie wir hier gearbeitet haben. Eine Niederlage, würde ich sagen, war die technische Unmöglichkeit des Pavillons (auf dem Marstallplatz zu den Festspielen 2010 und 2011). Das war ein sehr schöner Traum, war ausgelegt auf Jahre, wir wollten damit reisen. Dass das technisch nicht klappte, dass man es nach dem zweiten Jahr schon kaum mehr aufbauen konnte, bedauere ich im Nachhinein.

Gehört nicht auch dazu, dass es Ihnen nicht gelang, eine Studiobühne zu etablieren?

Der Pavillon war als der kleine Raum gedacht, das stimmt schon. Die Studiobühne an sich ist für meinen Begriff ein Konzept der Neunziger- und Zweitausender-Jahre. Ich glaube, dass wir heute mit den Räumen ganz anders umgehen. Wenn ich jünger wäre, würde ich mir das wünschen. Das Ghetto der Studios rührt ja daher, dass sich die Leute irgendwann nur noch kleine Formen getraut haben. Das Schauspiel braucht das, aber für das Musiktheater halte ich nicht so viel davon. Vielleicht interessiert mich persönlich diese kleine Form auch nicht so sehr.

Aber der Pavillon hat Sie interessiert?

Das war eine ganz andere Idee, eine Idee der Freiheit, der Flexibilität, des heutigen Umgangs mit einem Raum. War ja auch ein wenig ein Raumschiff. Der damalige Finanzminister Faltlhauser meinte, was brauchen's denn dieses Klein-Sidney. Fand ich gar nicht schlecht, denn es stand ja die Idee dahinter: Den Pavillon packen wir jetzt ein und fahren damit nach China.

Als Staatsoper?

Ja. Wir haben doch gerade in dieser Corona-Zeit - in zehn Jahren werde ich wahrscheinlich mal sagen, dass diese Corona-Zeit mit meine interessanteste war - gezeigt, wozu wir fähig sind. Wie viel Potential in so einem Haus ist, wenn plötzlich nicht mehr der große Dampfer fährt. Unglaublich, was da jedem einfällt und was man machen könnte.

Ist die Dampferhaftigkeit eines solchen Hauses mit seinen 1000 Mitarbeitern nicht auch oft enervierend?

Erst einmal ist es ein ganz großes Pfund für ein Land und eine Stadt. Das ist wie eine Kathedrale. Natürlich ist es auch enervierend. Ich bleib mal beim Bild des Dampfers. Du musst bis zum Schwitzen das Steuerrad drehen, bis der Dampfer vielleicht ein klein bisschen eine andere Richtung nimmt. Wahrscheinlich würde man über Jahre nicht merken, dass der Kapitän über Bord gegangen ist, weil's einfach weiterfährt.

Bei Ihnen würde man schnell merken, dass die Loge verwaist wäre.

Ja. Aber, und das ist die andere Seite: Dieses Knowhow, das so ein gesamtes Haus in allen Abteilungen hat, das ist unfassbar. Das schafft ja niemand auf der Welt allein, dieses Ding nach eineinhalb Jahren von null auf hundert mit den kompliziertesten Produktionen so hochzufahren. Aber - there is no free meal - es ist enervierend, wenn der Zwang immer mit am Tisch sitzt.

"Die Subvention, die ja weiß Gott nicht gering ist, geht drauf für den Betrieb."

Sie sind ja zum Erfolg verdammt. Bayerische Staatsoper mit, nehmen wir mal diese blöden Zahlen, 90 Prozent Auslastung wäre doch kurz vorm Weltuntergang?

Die Wahrheit ist, und das wurde ich nicht müde zu betonen, weil ja quer durch Deutschland das Lied gesungen wird, die Staatsoper sei so reich, dass es eine Bürde ist, das Werk so am Laufen zu halten. Das, was hier über die Norm verdient wird, ist das, womit wir künstlerische Dinge machen können. Die Subvention, die ja weiß Gott nicht gering ist, geht drauf für den Betrieb. Ja, in gewisser Weise ist man zum Erfolg verdammt, und wir haben das noch in die Höhe getrieben. Es war nicht immer so.

Diese Last schlägt ja bis ins Repertoire durch. Hätten Sie nicht lieber mal, fiktives Beispiel, statt einer neuen "Tosca" einen Rihm gemacht?

Erst einmal: Ich bin ja kein Deutscher, und bin kein Ideologe. Ich bin ein levantinischer Österreicher, und für mich ist eine "Tosca" keine Bürde und ein Rihm nicht per se eine Freude. Ich würde sagen, in diesen 13 Jahren gab es nichts, von dem ich gesagt hätte, das kann ich jetzt nicht machen. Wir haben im Prinzip alles gemacht, was wir machen wollten.

Sie vertreten vehement die Haltung, recht viel länger als zehn Jahre sollte ein Intendant nicht an einem Hause bleiben.

Absolut. Das erschöpft sich doch auch. Man hat eine bestimmte Art, eine bestimmte Sprache, wenn man so will, aber Theater ist ein transitorisches Metier. Drum ist es auch so lächerlich, wenn man von einer Ära spricht. Was soll die Ära sein? Der Vorhang fällt - und es ist weg. Für mich, für die Künstler und Teile des Publikums gibt es bestimmte Dinge, die in Erinnerung bleiben. Aber der wirkliche Zauber dieses Metiers ist ja, dass es verschwindet.

Wollen Sie gar nicht in Erinnerung bleiben an der Staatsoper?

Nein! Warum auch? Es ist rührend, wenn man ein Porträt aufhängt, aber das hat mit der Sache nichts zu tun. Mich interessiert ja auch meine eigene Vergangenheit nicht. Im Moment bin ich deshalb so - fast würde ich es mir erlauben zu sagen - glücklich, weil diese letzten vier Monate so sein konnten, wie sie sind. Ich hätte ja auch, wie man in Österreich sagt, wie die Dirn vom Tanz gehen müssen.

Die Dirn?

Das ist eine weibliche Angestellte am Bauernhof, und wenn die keinen Tänzer findet, dann geht die Dirn vom Tanz. Und dass es das nicht ist, dass wir Festspiele haben, das ist schon sehr schön.

Die Dirn bringt mich zu der Frage: Ist Ihr Job einsam?

Sehr. Ich glaube, dass ich diese Einsamkeit so besonders empfinde, weil das Metier so tut, als seien sich alle so nah. Sind wir aber nicht. Die Distanz ist eine sehr große. Das merkt man immer an Premieren, wenn man herumstehst wie der Leuchtturm oder wie die Hebamme, die die Kinder auf die Welt gebracht hat, und irgendwie hat sie jetzt nichts mehr zu tun und ist auch nicht dabei.

Haben die Leute Angst vor Ihnen?

Ich hoffe, sie haben Respekt und nicht Angst. Manche haben vielleicht Angst, aber ich habe das selber nie so empfunden, falls man das so sagen kann. Ich hoffe, die Autorität gibt ihnen auch einen gewissen Schutz.

"Premierenfeiern sind nicht mein Ding."

Ich habe Sie immer wahrgenommen als einen Menschen, der im direkten Gespräch sehr unkompliziert ist, aber ein Virtuose darin ist, Distanz zu halten, ohne dabei je unhöflich zu sein.

Das ist das Geheimnis, glaub' ich. Aber das ist das Geheimnis jeder Führung. Man muss einerseits einen leichten Umgang pflegen, aber der muss immer klar sein. Deswegen habe ich auch nie gesoffen mit den Leuten. Premierenfeiern sind nicht mein Ding. Ich habe ja keine Familie, das heißt, meine Familie war immer meine Arbeit, aber es ist schon manchmal hart, wenn du heimkommst, die Tür aufsperrst, in eine große Wohnung gehst, und die ist leer.

Bleiben Sie in der großen Wohnung?

Nein. Ich mag München sehr gern, aber ich muss hier weg. Immer, wenn ich eine Institution abgebe, muss ich aus der Stadt.

Haben Sie Angst, Sie würden nachts wie ein einsamer Kater ums Nationaltheater streifen?

Nein, die Angst habe ich nicht. Ich sage nur mal die letzte Situation: Als es dann im Burgtheater drunter und drüber ging, war es so gut, dass ich weg war.

Gehen Sie nach Wien zurück?

Ja, aber ich bin da nicht so. Ich habe keine Heimatgefühle. Das ist mir fremd. Meine Heimat ist die Kunst.

Kann es sein, dass Sie der unsentimentalste Österreicher sind?

Als Schauspieler hat man mich immer den preußischen Österreicher genannt. Ich glaube, ich habe eine schwierige Mischung. Ich bin in meinem Inneren sehr romantisch und sehr unsentimental. Das ist nicht ganz einfach. Da macht die Romantik dann oft sehr Mühe, so vom Privaten her. Aber diese verlogene, institutionalisierte Sentimentalität ist mir ganz fremd. Drum hat mir München auch gut getan. Ich muss sagen: Von all meinen Stationen war das hier meine schönste Zeit.

Glauben Sie, die Staatsoper geht langfristig unbeschadet aus dieser Krise?

Nein. Nein, es ist falsch, nein zu sagen. Die Leute haben es in der Hand, ob sie beschadet oder sogar mit einem Gewinn rausgehen. Dem Metier täte ja durchaus Not, dass es sich wandelt, dass es andere Perspektiven hat, dass es diesen globalen Zirkus nicht abschafft, aber anders damit umgeht.

Sie haben zu Ihrem Abschied ein Buch herausgebracht, darin 15 Interviews, die Sie mit Regisseuren führten, die hier gearbeitet haben. Hätten Sie gern mal mit Ihrem Gesprächspartner das Metier getauscht?

Nein. Aber: Wenn ich nochmal auf die Welt käme, möchte ich Schriftsteller werden.

Ja eh.

Ich habe das ja oft versucht. Dieses Buch ist ja einfach deshalb entstanden, weil das die wesentlichen Regisseure sind und ich zu allen eine sehr nahe Beziehung habe. Ich wollte kein Rückschau-Buch machen, das käme für mich ohnehin nicht in Frage, ich brauch' auch keinen Bildband, der sofort am Wühltisch landet. Ich wollte immer schreiben. Aber all meine Versuche waren: Ich habe versucht, zu schreiben wie Proust, wie Stefan Zweig. Da musste ich sagen: Das geht nicht. Ich habe keine Sprache gefunden. Ich wollte also nie wirklich tauschen, denn in meinem Beruf kann man viel umsetzen, viel verwirklichen, aber auch scheitern.

Scheitern können wir auch.

Wirklich scheitern könnt ihr nicht. Wenn, dann wird es nicht ruchbar. Das ist halt dann ein missglückter Text. Sonst müssten ja manche von Ihnen schon längst den Beruf gewechselt haben. Aber das ist ja nicht der Fall. Die sagen halt dann: Ich bin a scharfer Kritiker.

Sie kennen die Presse von Wien, nun die hier. Wie war eigentlich Ihr Verhältnis?

Erst einmal distanziert. In Wien ist das noch viel mehr aufgefallen, das hat sogar zu so etwas wie Feindschaften geführt, weil dort die Distanz nicht üblich ist - in Österreich nennt man das "Verhaberung", eine urösterreichische Eigenschaft. Und, was mir ja keiner glauben wird: Kritik, ob sie nun positiv oder negativ war, hat mich immer interessiert. Ich kam ja immer nur in einen Konflikt als sozusagen Vater meiner Kinder. Ich habe mich dann erregt, wenn ich das Gefühl hatte, das ist jetzt verkannt und ungerecht.

War das dann der Vater, der manchem Journalisten mitten in der Nacht eine Email schrieb?

Absolut. Es gab eine Zeit, in der ich sehr viele Briefe geschrieben habe, so dass sich manche schon darüber mokierten, sie hätten noch keinen Bachler-Brief bekommen. Ich habe schon ein extremes Schutzbedürfnis, vielleicht auch deshalb, weil ich keine Familie habe. Premieren mit Buh-Konzerten haben mich persönlich nicht gestört, weil das Teil dessen ist, was wir tun. Es muss ja eine Debatte geben. Wenn ich gelitten habe, dann immer nur für die Künstler, weil es nicht schön ist, wenn man Schützlinge hat und zuschauen muss, wie die den Jauchekübel drüber kriegen.

Ist das nicht ein etwas seltsames Lebenskonstrukt, dass Sie die Gemeinschaft, der Sie vorstehen, als Familie empfinden, gleichzeitig aber, als Chef, darauf bedacht sind, Distanz zu wahren?

Ein Lieblingsroman von mir ist Lampedusas "Gattopardo" ("Der Leopard"), der von Visconti verfilmt wurde. Ich glaube, ich wäre auch mit einer echten Familie ein Familienvater wie hier Burt Lancaster geworden, hätte in meiner Familie auch Distanz und Formen gehabt. Das ganze Leben ist ein Konstrukt, nur manche Momente kommen aus der Natur. Das ganze Haus hier ist ein Konstrukt, ich bin so gesehen auch eines. Es ist nur die Frage, was man daraus macht. Ich mache diesen Beruf nur, weil es mich interessiert, was es bei den Menschen auslöst.

Als Sie selbst zu arbeiten anfingen, als Schauspieler, waren Sie selbst das auslösende Element. Als Intendant agierten Sie dann eher mittelbar, ermöglichten, dass etwas ausgelöst wird.

Ja. Ich habe mich nie wirklich langfristig als das auslösende Element gesehen.

Waren Sie ein schlechter Schauspieler?

Ich hatte viel zu tun, ich weiß nicht, ob ich ein guter oder schlechter Schauspieler war, das kann ich nicht beurteilen. Ich habe mir schon auf der Schauspielschule gedacht: Ob ich mir mit 40 noch sagen lasse, komm mal von links, oder doch besser von rechts, nein, mach's noch mal von links?

Besser war's dann, jemanden zu engagieren, der den Leuten auf der Bühne sagt, wie sie von links nach rechts gehen sollen?

Die Zusammenhänge sind die größeren. Auch wenn ich vorher das Bild des Steuermanns verwendete, der dreht und dreht, und es rührt sich wenig, hat man trotzdem ein Steuer in der Hand. Ich glaube, dass man dafür eine Begabung braucht, man muss ein Bauchgefühl für Menschen und Konstellationen haben. Das ist das Entscheidende. Man muss Konstellationen schaffen, Mut haben und dann laufen lassen. Sich nicht einmischen. Es ist ein Sakrileg, und das machen Intendantenregisseure so gern, etwas verbessern zu wollen. Man kann in der Kunst nichts verbessern. Mehr als an die Kunst glaube ich an Künstler.

Im Sprechtheater ist es recht üblich, dass Intendanten zu Ende inszenieren.

Eingreifen, genau. Das habe ich immer rundheraus abgelehnt. Das ist immer ein Flickwerk: Die zwei Haxen sind gebrochen, aber ich gebe jetzt einen Verband drum, damit es niemand merkt. Du kannst in einen künstlerischen Prozess nicht eingreifen, du kannst höchstens sagen, gut, das machen wir nicht mehr.

Und wenn Sie eine Woche vor der Premiere in einer Probe sind und sich denken, oje, das geht in die Hose, was machen Sie dann?

Dann muss man zwei Stunden Schande ertragen. Ich glaube auch nicht, dass man in einer Woche aus einer schlechten eine gute Inszenierung machen kann. Manchmal ist die Sichtbarmachung des Unvermögens sogar interessanter.

Wenn's erträglich bleibt.

Naja, man muss auch unerträgliche Dinge aushalten. Das muss man im Leben auch.

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