Eigentlich sind sich alle einig: Die Trennung von E-Musik und U-Musik, also von Ernstem und Unterhaltendem, ist Unsinn. Als würden Klassikkünstler nur der intellektuellen „Hüstel, hüstel“-Stimulation dienen und Pop-Musiker zwangsläufig die Verblödung ihrer Fans einleiten. Mozart war Punk und Popstar, vielleicht, zumindest glaubt man das seit Falco und dem Film von Miloš Forman zu wissen, und das halbstarke Genie aus Österreich eignet sich daher auch vortrefflich als Hauptfigur der Hip-Hop-Tanzshow „Breakin Mozart“ (am 29. Dezember im Fat Cat, dem zum Subkultur-Ort umfunktionierten Gasteig). Auch zu Johann Sebastian Bach kann man fliegen, wie die Breakdance-Weltmeister „Flying Steps“ im SAP Garden zeigen wollen (28. Dezember). Und Beethoven kann ein Tiktok-Tsunami sein, wie es der 20 Jahre junge Pianist Louis Philippson seiner guten Million Jünger im Internet vormacht.
Philippson ist der diesjährige „Klassik-Star“ der „Night Of The Proms“, was den treuen Anhängern dieses Crossover-Spektakels aber eher erklären soll, warum sie unter all den hier involvierten Künstlern von ihm noch am wenigsten gehört haben dürften. Denn die meisten „Promser“, wie sie von Moderatoren wie Markus Othmer gerne angekumpelt werden, dürften sich weit besser in der Pop-Hitparade der Achtzigerjahre bis heute auskennen, als mit dem Beethoven-Werksverzeichnis mit und ohne Opuszahl. Aber da wäre man schon wieder bei der Lagerbildung, und die wollte Dirk Hohmeyer nie. Der in München ansässige deutsche Produzent und Tour-Veranstalter der beliebten „Klassik trifft Pop“-Nächte setzt seit nun 30 Jahren auf zeitlose Schlager: „Unser Credo lautet: Das Beste aus 300 Jahren populärer Musik.“
Da darf Philippson mit seinen Liebestraum-Variationen nach Franz Liszt verzaubern. Aber in sein Medley fließt eben Beethoven ebenso ein wie „Music“ von John Miles. Der brachte als Band-Leader sein One-Hit-Wonder als „Hymne der Proms“ immer wieder selbst zum Strahlen mit dem großen Orchester (bis er 2021 starb). Groß besetzt dürfen das Antwerp Philharmonic Orchestra und der Chor Fine Fleur jedes Jahr mit den populärsten Film-Soundtracks ebenso überwältigen wie mit ausgewählten Klassik-Gassenhauern. Und das mit einem von Jahr zu Jahr weiterentwickelten Ton-System und einer Licht-Inszenierung, wie sie bei ernsten Liederzirkeln verpönt wären. „Durch uns sind in den vergangenen Jahren über zehn Millionen Besucher mit klassischer Musik in Berührung gekommen, die sonst vielleicht nie ein klassisches Konzert besuchen würden“, vermutet Hohmeyer.
Vor allem natürlich sind die vielen Musiker auf der Bühne dazu da, die Hits der Stars bombastisch zu inszenieren, oder „boombastic“, wie man heuer sagen darf. Denn Hauptattraktion ist der jamaikanische Reggae-Dancehall-Popstar Shaggy, der seine Paradenummern „It Wasn’t Me“ und eben „Mr. Boombastic“ spielen wird. Letztere Macho-Sprüche-Klopferei des Mister Lover Lover von 1995 könnte womöglich aus der Zeit gefallen wirken: „Well, you are the bun and me are cheese / And if me are the rice well maybe you are the peas.“
Alles Käse? Nein, eher „cheesy“, wie man auf Englisch sagt, also cremig-lieblich – das Erste, worauf die Menge so abfährt bei den Promis der Proms, den Zugnummern: Denkt man an Starship (Mickey Thomas), denkt man wohl nicht mehr an die Vor-Vor-Gänger und Woodstock-Helden Jefferson Airplane, sondern an Eighties-Pop wie „We Built This City“, „Nothing’s Gonna Stop Us Now“ und vielleicht noch „Sara“, und genau das bekommt man auch. Dave Stewart, das weiß, wer seine interessante Biografie gelesen hat, hat auch mit Tom Jones, Bob Dylan, Mick Jagger und Nena gearbeitet, aber 100 Millionen Platten verkauft hat er mit Annie Lennox als Eurythmics, aufgelöst vor nun 25 Jahren. „Sweet Dreams“ und „Here Comes The Rain Again“ spielt der Gitarrist bei den Proms daher mit der australischen Singer-Songwriterin Vanessa Amorosi (wie 2023 in der „Helene Fischer Show“). Das mag für die einen nach Notlösung klingen, für viele aber sind das Chancen auf einmalige Momente. Etwa auch, wenn Deutsch-Pop-Dreitagebart Max Giesinger nicht nur allein „80 Millionen“ singt, sondern sich auch mit der britischen Cutting Crew („I Just Died In Your Arms Tonight“) gemeinsam ranschmeißt. So was gibt es eben nur bei der „Night Of The Proms“.
Oder doch nicht? Da sind ja noch andere Crossover-Spektakel unterwegs. Allen voran „Rock Meets Classic“, das in ebenso großen Hallen tourt, in München auch in der Olympiahalle (6. April). Auch hier warten die treuen Anhänger alle Jahre wieder auf die Verkündung der Star-Gäste, die mit Orchester und Band (aber nicht mit ihrer eigenen) ihre Hits aufmöbeln. Das sind 2025 Randall Hall von Lynyrd Skynyrd („Sweet Home Alabama“), Lita Ford von den Runaways („Cherry Bomb“), Fran Cosmo von Boston, John Elefante von Kansas, Mal McNulty von Slade und Glenn Hughes, den man als Frontmann von Black Country Communion ebenso kennt wie von Deep Purple (die ja tatsächlich einiges mit Klassik am Hut hatten, wie man heuer beim von Boxhead und Abaco-Orchester in München nachgespielten „Concerto for Group and Orchestra“ wieder eindrucksvoll erleben konnte).
„Klassik trifft Pop“ – macht es das doppelt schwierig für die Künstler, die in beiden Genres zuhause sein sollten? Gar nicht, behauptet der Chorleiter Mano Michael. Der hat schon mal als Mano Ezoh einen Weltrekord mit den meisten Sängerinnen und Sängern in der Olympiahalle aufgestellt und sucht nun 500 Stimmen für sein neues Projekt im bei der Klassik geschätzten Herkulessaal. Bei „The Experience – Pop meets Classic“ will er dann Hits wie „Shout“ von Tears for Fears gewaltig erklingen lassen. Zu den „intensiven zehn bis zwölf Workshops“ (etwa am 14. Dezember, 16 Uhr, St. Markuskirche München, singen@manomichael.com) kann jeder kommen, der gerne unter der Dusche singt, ob Virtuose oder Laie: „Du bist bei uns richtig, wenn du Spaß am Singen hast.“
„Night Of The Proms“, 6. bis 8. Dezember, Freitag und Samstag 20 Uhr, Sonntag 15 Uhr, München, Olympiahalle, www.notp.com/de/