Niedergang des Nockherberg-Singspiels:Wenn Politiker-Doubles zu Zirkusclowns werden

Eigentlich soll das Nockherberg-Derblecken Politikern wehtun - doch das Singspiel ist zu einem harmlosen Tingeltangel verkommen. Die Texte? Mitunter recht sinnfrei. Die wichtigsten Protagonisten? Spielen in der realen Politik oft nur eine marginale Rolle. Und das beste Double schmeichelte gar dem Original.

Wolfgang Görl

Wer am späten Mittwochabend im Bayerischen Fernehen die Sendung über die Frauen auf dem Nockherberg gesehen hat, war schwer gefährdet, wehmütig zu werden. Eine der zentralen Figuren des TV-Features war Corinna Duhr, die elf Jahre lang im Singspiel Angela Merkel verkörpert hat.

Als die Schauspielerin im März 2000 erstmals auf der Nockherberg-Bühne in Erscheinung trat, war sofort klar, dass die damalige Singspiel-Regisseurin Eva Demmelhuber die Idealbesetzung für Merkel gefunden hatte. Noch die größten Griesgrame unter den versammelten Politikern lachten sich schief, als Duhr im orientalischen Gewand der "bezaubernden Angie" das ausgefuchste Gebaren der CDU-Politikerin bei Helmut Kohls Bimbes-Skandal karikierte: "Ich bin die Zuckerpuppe aus der Schwarzgeldtruppe von der Christlichen Union."

Wie der einstige Stoiber-Darsteller Michael Lerchenberg und das Ude-Double Uli Bauer vollzog Corinna Duhr die Entwicklung des Originals mit, verwandelte sich in den folgenden Singspielen von der "Ossi-Biene mit der Unschuldsmiene" zur selbstbewussten, mitunter selbstherrlichen Kanzlerin. Alfons Biedermann, der seit drei Jahren das Singspiel leitet, hat heuer auf Corinna Duhr verzichtet und die Schauspielerin und Sängerin Christin Marquitan mit der Merkel-Rolle betraut.

Marquitan sei die bessere Sängerin, hatte Biedermann argumentiert, und da hat er wohl recht. Aber keinesfalls ist sie das bessere Merkel-Double - jeder konnte das feststellen, der das Politikerderblecken am Mittwoch und die darauf folgende TV-Retrospektive gesehen hat. Das ist schade, wäre aber halb so schlimm, würde diese Entscheidung nicht auf einer grundsätzlichen Neuorientierung des Singspiels beruhen, die sich nach drei Vorstellungen zunehmend als Irrtum erweist.

Man sagt es nicht gerne, denn Biedermann ist ein sympathischer Mensch, der gewiss mit Engagement und auch mit Risikobereitschaft an die Sache herangegangen ist - doch es ist nun mal so: Unter seiner Regie ist das Singspiel zu einem harmlosen Tingeltangel verkommen. Mit Politikerderblecken hat diese Comedy-Revue nur noch am Rande zu tun, denn Politik kommt lediglich als billiger Klamauk vor.

Auch nach der dritten Maß Starkbier ernüchternd

War es Corinna Duhr auf witzige Weise gelungen, die Unschuldsmiene Merkels als Maskerade ihrer Machtansprüche bloßzulegen, so musste sich die bedauernswerte Christin Marquitan mit einem weitgehend sinnfreien Text herumschlagen, der auch nach der dritten Maß Starkbier ernüchternd wirkte.

Alfons Biedermann, der der Bully-Herbig-Schule entstammt, ist 2010 mit dem Anspruch angetreten, das Singspiel zu erneuern. Ob die Erneuerung nötig war, ob das Zauberwort "Modernisierung" auch hier seine Magie entfalten musste, sei dahingestellt. Tatsache ist: Die alte Singspieltruppe um Eva Demmelhuber hatte sich verabschiedet, weil sie sich zunehmender Zensur ausgesetzt fühlte. Was Biedermann vorhatte, klang erst einmal plausibel: das Salvatorspiel für junge Leute attraktiver zu machen und noch mehr Menschen an den Bildschirm zu locken.

Beides scheint gelungen zu sein: 2,78 Millionen Zuschauer sahen die Live-Sendung am Mittwochabend, der bundesweite Marktanteil von 9,2 Prozent ist die beste Quote, die das Starkbier-Spektakel je hatte. Auch der Anteil der Zuschauer unter 50 Jahren ist gestiegen. Aber heißt das auch, dass die Leute sich amüsieren?

Harsche Kritik in Internetforen

Nimmt man die harsche Kritik in den Internetforen zum Maßstab, dann darf man daran zweifeln. Andererseits sollte man die Online-Motzerei nicht zu ernst nehmen, sie trifft jeden, ob er's verdient hat oder nicht. Das jüngste Singspiel lässt sich mit diesem Einwand jedoch nicht retten.

Es lohnt sich, noch einmal einen Blick auf die Darbietungen früherer Jahre zu werfen. Damals schrieben Kabarettisten wie Holger Paetz, Christian Springer und Uli Bauer sowie der Rundfunkmann Franz Messner die Texte. Sie kannten sich aus in der politischen Szene, sie sammelten Monate vor der Aufführung Stoff, sie wussten, worauf es ankommt beim Derblecken: mal Nadelstiche setzen, mal den Hammer auspacken. Den Politikern, die es traf, sollte es schon ein bisschen wehtun - zum Gaudium der übrigen, deren Gelächter meist auf Schadenfreude beruhte.

Bei Biedermann hat man hingegen den Eindruck, dass er das politische Geschehen nicht mit der Aufmerksamkeit verfolgt, die ein Satiriker benötigt, um treffsicher zu sein. Wie sonst konnte er auf die Idee kommen, Christine Haderthauer und Karl-Theodor zu Guttenberg ins Spiel zu bringen? Was immer man von den beiden hält: In der Politik der vergangenen Monate spielten sie eine marginale oder gar keine Rolle. Schließlich das Spiel selbst: Wo eigentlich war da die Regie: Die Politiker-Doubles hampelten wie Zirkusclowns herum, und was sie von sich geben, brauchte keiner der Parodierten zu fürchten.

Selbst der Witzigste der Truppe, der famose Stephan Zinner, stellte einen Söder auf die Bühne, der dem Original schon beinahe schmeichelte. Ist ja ulkig, dieser Söder: ein fränkischer Choleriker, ehrgeizig zwar und ein bisschen täppisch. Der bayerische Finanzminister darf zufrieden sein. Mittlerweile ist er als der Mann populär, der ein tolles Nockherberg-Double und die lustigsten Masken bei der Veitshöchheimer Fastnacht hat.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sich kein Politiker ändern, nur weil er auf dem Nockherberg durch den Kakao gezogen wurde. Da hilft auch die beste Satire nichts. Es wäre schon genug, wenn er sich für einen Moment getroffen fühlte vom Spott. Davon aber ist das Singspiel weit entfernt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: