Süddeutsche Zeitung

Neuried:Teklebrhans Schuhe

Ute Bolmer und Saskia Hahn von der Hochschule Macromedia drehen ihren Abschlussfilm "On Our Country" über das Schicksal eines aus Eritrea geflüchteten, traumatisierten 19-Jährigen

Von Johannes Korsche, Neuried

Für ihren Abschlussfilm an der Hochschule Macromedia haben Ute Bolmer und Saskia Hahn neun Monate lang recherchiert. Auf Einzelgespräche mit Geflüchteten folgten Besuche in Flüchtlingsunterkünften und weitere individuelle Gespräche. Erst dann haben sie damit begonnen, das Drehbuch für "In Our Country" zu schreiben.

Die beiden Jungfilmerinnen nahmen sich die lange Vorbereitungszeit, weil sie die Situation der Flüchtlinge "ehrlich und glaubwürdig" darstellen wollten. Auch wenn die Erzählungen von Flucht und Vertreibung die beiden manchmal emotional ganz schön mitnahmen. Trotzdem "haben wir es immer so gezeigt, wie es wirklich war", sagt die Neurieder Kamerafrau Ute Bolmer.

Herausgekommen ist dabei ein 30-minütiger Spielfilm, der die Geschichte des 19-jährigen Teklebrhan erzählt. Die Fluchtgeschichte ist wahr, nur der Name fiktiv. Auf diese Weise schafft der Kurzfilm mehr, als so manche Hochglanzproduktion mit Überlänge. Der Streifen erzählt eine berührende Geschichte, die für Toleranz und Verständnis gegenüber den nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen wirbt. Ohne dabei die Probleme zu verschweigen, die bei der Annäherung zwischen zwei Kulturkreisen aufkommen können. Gerade wenn die Ankommenden von Flucht und Krieg traumatisiert sind. "Der Film soll einfach helfen, beide Seiten zu verstehen", sagt Saskia Hahn.

Der Zuschauer lernt Teklebrhan zum ersten Mal auf dem Platz des Ebersberger Fußballvereins kennen. Sein Traum: Er will der nächste Jérôme Boateng werden. Nicht nur um seine in Eritrea zurückgebliebenen Eltern finanziell unterstützen zu können. Genau genommen sieht der Zuschauer zunächst seine von der Flucht zerfledderten Schuhe, die sich neben den blank polierten Markenschuhen seiner Teamkameraden aufstellen. Auch in der folgenden halben Stunde legt der Film immer wieder den Fokus auf Teklebrhans Schuhe. Kein Zufall: "Das Motiv der Schuhe ist wie ein roter Faden im Film", sagt Ute Bolmer. Die Idee kam ihr, als sie in einer Zeitschrift Fotografien sah, die Flüchtlinge und ihre Schuhe zeigten. Den Schuhen sah man die Strapazen der Flucht mindestens genauso an, wie den Gesichtern der Geflüchteten.

Aus der Idee wurde schließlich das Leitmotiv für den Film. Zunächst als Symbol für Teklebrhans Fluchttrauma und dessen Nachwirkungen im Alltag, zeigen sie in den letzten Sekunden vor dem Abspann, wie gelungene Integration aussehen könnte: neue Schuhe, alte Schnürsenkel. Das natürliche Ineinandergreifen von alter und neuer Heimat.

Doch bis dahin ist es für den jungen Eritreer ein schwieriger Weg. Immer wiederprallen Teklebrhans Zukunftsträume und seine gegenwärtige Lebenssituation aufeinander. Im Kopf bei der ausverkauften Allianz-Arena, unterm Kopf das harte Kissen des schmalen Bettes in seiner Container-Unterkunft. Um die beklemmende Enge der Flüchtlingsunterkünfte glaubwürdig abzubilden, hat das Filmteam in einer echten Container-Unterkunft gedreht. "Dort gibt es keine Privatsphäre", erinnert sich Saskia Hahn. Selbst über die Wände, die die kleinen Zwei-Bett-Abteile vom Rest des Containers abtrennen sollen, habe man problemlos in fremde Betten gucken können.

Mehr als 200 Flüchtlinge lebten während der drei Drehtage in dem Container. "Wir haben uns immer für die Wahrheit und nicht für die Dramaturgie entschieden", bekräftigt Filmemacherin Saskia Hahn noch einmal.

Wer "In Our Country" sehen will, muss in der Nacht auf den kommenden Donnerstag, 16. November, lange wach bleiben. Der Film läuft bei der "Kurzfilmnacht zum Internationalen Festival der Filmhochschulen" des Bayerischen Rundfunks.

Neben dem Kurzfilm "Brot und Oliven" über zwei junge griechische Brüder, die auswandern, ist auch der Gewinner des Europäischen Medienpreises für Integration 2017 zu sehen: "Different Bayern". Beginn der Kurzfilmnacht ist um 0.30 Uhr, Ende ist um zwei Uhr morgens.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2017
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