Neuried:Aus dem Schatten ins Licht

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Die Gemeinde Neuried würdigt den Bildhauer und Maler Karlheinz Esser mit einem Skulpturenpark

Von Jürgen Wolfram, Neuried

Gegen Schicksalsschläge sind selbst bekennende Optimisten nicht gefeit. Karlheinz Esser hat schon drei existenzbedrohende Krisen heil überstanden, was er als "Wunder" empfindet. Als er Bergmann im Ruhrpott war und noch nicht Künstler in seiner Wahlheimat Neuried, überlebte er einen Kohlenbruch im Schacht. Später überschlug er sich mit dem Auto und blieb wenige Zentimeter vor einem Abgrund liegen. Schließlich, es ist nicht lange her, ging eine Augenoperation gut für ihn aus. Was Essers Laune zusätzlich hebt, ist die Aussicht auf eine spektakuläre Würdigung seines Schaffens als Bildhauer. Denn die Gemeinde Neuried will zu Ehren des 73-Jährigen einen Skulpturenpark auf einem Grünstreifen neben der Starnberger Straße erweitern.

Der erste Akt der Neu-Würdigung ist schon bewältigt. Er bestand darin, zwei Werke Essers dem Vergessen zu entreißen und sie aus dem vermüllten Dickicht neben der Hettlage-Ruine, das einst ein Park gewesen ist, zu bergen. Dort waren sie 1994 aus Anlass der Feier zum 800-jährigen Bestehen der Kommune errichtet worden, seinerzeit in Auftrag gegeben von Altbürgermeister Otto Götz. Inzwischen laden die Eisenskulpturen "Geometrie der spitzen Winkel" und "Die Esser-Spirale" Fußgänger und Radler wieder zum Betrachten ein. Der amtierende Rathauschef Harald Zipfel begleitete die Umsetzung auf sichtbare, solide Sockel mit den Worten: "Aus dem Schatten ins Licht".

Im Bauhof stehen schon die nächsten beiden Werke bereit, um an die Starnberger Straße, die parallel zur Kreisstraße M 4 verläuft, verpflanzt zu werden und den Esser-Skulpturenpark zu arrondieren. Eines der Werke erinnert stark an die Nordkap-Kugel. Das andere zu interpretieren, will der Künstler bewusst dem Publikum überlassen. Er hat sich inzwischen mehr auf das Malen verlegt, nicht minder erfolgreich. Bilder Essers wurden bis nach New York und Singapur verkauft. Sein diesbezügliches Oevre schätzt der Autodidakt mit den vielen Fähigkeiten auf 1000 Stück. Die jüngsten davon entstanden in der Küche seiner Mietshaus-Wohnung. Ein Kritiker schrieb mal über Esser, er sei in mindestens 15 Maltechniken zuhause.

Doch das ist längst nicht alles: Der gebürtige Rheinländer hat auch schon ein halbes Dutzend technischer Berufe hinter sich. Bücher schreibt er außerdem. Das jüngste heißt "Mein krankes Auge" und ist seinem Entdecker, dem verstorbenen Bildreporter, Journalisten und Forscher Erwin Soellner-Fleischmann gewidmet. Ein Weltreisender wie dieser ist auch Karlheinz Esser jahrelang gewesen. Er war schon auf Samoa, in Neuseeland und mit dem Wohnmobil in Russland unterwegs. "Eigentlich fehlt mir nur noch Australien", sagt er. Gereist ist der Vater einer Tochter meistens mit seiner Frau; das Paar lebt seit Jahrzehnten zusammen.

Die Kunst hat Esser Ende der Sechzigerjahre geküsst, zunächst eher zart. Damals versuchte er sich als Straßenpflastermaler in Schwabing. Seine Darstellungen erregten Aufsehen, vor allem bei Soellner-Fleischmann, der ihm einen 20-Mark-Schein in den Hut warf und voraussagte, dass ihm bald die Kunstwelt offen stehen werde. Tatsächlich ging es wenig später Schlag auf Schlag: Ausstellung folgte auf Ausstellung, mal in der Kreissparkasse, mal im Klinikum, dann wieder in Galerien des Ruhrgebiets oder des Landkreises Starnberg. Dem Fleischfabrikanten Rudolf Houdek durfte er sogar das Ferienhaus in Österreich bemalen. Die ersten Zeitungskritiken folgten. "Das war für mich wie Ostern und Weihnachten", erinnert sich Esser. Als die Kaufmännische Krankenkasse ihm dann obendrein ihren Kunstpreis verlieh und Spitzenpolitiker ihn mit Dankschreiben bedachten, hatte er endgültig realisiert, dass er nicht in einem schönen Traum, sondern im realen Künstlerleben angekommen war.

Über die Jahre gewachsen ist Essers Beziehung zu seinem Wohnort Neuried. Das kam schon damals deutlich zum Ausdruck, als er seine beiden Beiträge zum 800. Geburtstag der Gemeinde entwarf. Vor allem seine Eisenskulptur "Geometrie der spitzen Winkel" spielt auf diese engen Verbindungen an. Die Neurieder Farben Gelb und Grün sind geschickt verwoben in schlanke Säulen aus Schwarz, Rot und Gold - die Nation und die Würmtalgemeinde innig vereint. Essers Neigung zur Symbolik gipfelt in der Distanz, die das Werk zum Rathaus hält: 800 Meter, in Anlehnung an die 800-Jahr-Feier von 1994. Eine gerötete Schraube im Metall der "Esser Spirale" als den Nabel von Neuried zu deuten, scheut sich der Künstler nicht im mindesten. Denn in seinem überbordenden Leben als Frohnatur haben kleine Späße und großzügige Sichtweisen jederzeit ihren festen Platz.

© SZ vom 01.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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