Neuperlach:Respekt!

An der Mittelschule am Gerhart-Hauptmann-Ring fühlen sich mehr als Hälfte der 340 Kinder von ihren Mitschülern nicht gut behandelt. Nun läuft eine Projektwoche gegen Mobbing und für mehr Rücksichtnahme - auch eine Hündin wirkt mit

Von Daria Gladkov, Neuperlach

"Oh mein Gott, hast du das im Pausenhof gesehen? Armer Lukas, ich wollte helfen, aber ich hatte Angst, dass ich selbst zum Mobbing-Opfer werde!" Sophies Gesicht ist angstverzerrt, ihre braunen Augen weit aufgerissen. Man kann ihren Schrecken nachspüren. Sophie ist nur ihr Bühnenname, sie heißt eigentlich Malika Sabir, ist elf Jahre alt und besucht die sechste Klasse der Mittelschule am Gerhart-Hauptmann-Ring in Neuperlach. In dieser Woche findet kein Unterricht statt, aber nicht etwa wegen der Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus, sondern weil alle Klassenstufen an einer Projektwoche teilnehmen. "Gemeinsam - Hilfsbereit - Respektvoll", kurz GHR. Das Motto haben die Schüler selbst beschlossen.

Nach einem gesunden Frühstück mit ihren Mitschülern besucht Malika Sabir in dieser Woche den Theater-Workshop. Weil sie sich schon seit der Grundschule für Schauspiel- und Gesang begeistert, war für sie die Wahl des Projekts von Anfang an klar. Mit neun weiteren Kindern aus verschiedenen Klassen schreibt sie die Dialoge zu einem ausgedachten Mobbing-Szenario, das am Schluss zum lehrreichen Happy End führen soll. Die gespielten Szenen nehmen sie am letzten Tag der Woche auf und schneiden einen Film daraus. Der kommt dann auf die Schul-Homepage und soll andere Kinder zum Umdenken und respektvollem Miteinander anregen.

Neuperlach: Tierischer Trainer: Im Umgang mit Hund Ouna, hier mit Lehrerin Britta Baßler und zwei Schülerinnen sollen die Kinder Beherrschung und soziales Miteinander lernen.

Tierischer Trainer: Im Umgang mit Hund Ouna, hier mit Lehrerin Britta Baßler und zwei Schülerinnen sollen die Kinder Beherrschung und soziales Miteinander lernen.

(Foto: Robert Haas)

Denn der Umgang untereinander lässt oft zu wünschen übrig. In einer schulinternen Umfrage gab mehr als jeder Zweite an, dass er oder sie sich von ihren Mitschülern zu wenig respektiert fühlt. Michaela Weigert, die derzeit die Schulleitung kommissarisch übernommen hat, sieht das Problem in der Gesellschaft. Das Verhalten untereinander werde immer schlimmer, das werde dann in die Schulen getragen. "Wir haben im Kollegium gemerkt, dass die Schülersprache immer mehr verroht."

Akzeptieren wollten Weigert und das Lehrerkollegium das nicht. Einmal in der Woche treffen sich die Kollegen zum gemeinsamen Jour Fixe, um auch über die Schulentwicklung zu sprechen. Und dabei kam die Idee zur klassenübergreifenden Projektwoche, damit die Schüler sich auch außerhalb des Klassenverbunds besser kennenlernen. Den 340 Schülern wurden 18 Workshops angeboten. Wer gern malt, gestaltet das neue Schullogo, andere befassen sich mit ihrem "zweiten Ich im Netz" und unterhalten sich über Cybermobbing, oder lernen in einem weiteren Kurs Erste-Hilfe-Maßnahmen.

Neuperlach: Im Theaterworkshop erarbeiten die Teilnehmer ein Mobbing-Szenario.

Im Theaterworkshop erarbeiten die Teilnehmer ein Mobbing-Szenario.

(Foto: Robert Haas)

Eine der Attraktionen der Schule ist in dieser Woche Ouna, eine Mischlingshündin, mit der die Schüler ihr soziales Verhalten trainieren. Sie spielen mit ihr, streicheln sie und bringen ihr Kunststücke bei. Ouna ist durch ihre Ausbildung zum Schulhund die Kinder- und Jugendarbeit schon gewohnt. Das bedeutet für das Tier vor allem Disziplin: So lange Ouna ein Halstuch trägt, zeigt sie keine Tricks - egal mit wie vielen Leckerlis man sie zu bestechen versucht. Alex Daoud ist 13 Jahre alt, er liebt alle Hunde. Er selbst hat einen Zwergspitz zuhause. Vertieft bastelt er an einem so genannten Lapbook, einem an den Rändern eingeknickten Stück festen Papiers in rot, das später einmal, wie er sagt, im Museum hängen soll. Das Klappenbuch beschriften die Schüler an den Seiten mit den Eigenschaften und Bedürfnissen des Hundes. Ausgestellt werden die bunten Faltprospekte der Schüler dann zwar nur vor der Turnhalle der Schule, die breite Aufmerksamkeit der anderen Kinder und Jugendliche bekommen sie dort aber trotzdem. Manche Menschen müssten die Angst vor Hunden verlieren und das richtige Verhalten auf der Straße lernen, erklärt Britta Baßler, die den Workshop leitet. Ein Hund zeige den Schülern zudem, wie Rücksichtnahme, Beherrschung und soziales Miteinander funktionieren. Auch die Ergebnisse dieses Workshops sollen daher am Freitag, dem großen Präsentationstag, mit den anderen Schülern geteilt werden.

Wenn es um die ersten Rückmeldungen zu den Workshops geht, strahlen Michaela Weigert und die Theaterleiterin Eva Clauss. Die junge Lehrerin ist erst seit drei Jahren an der Mittelschule in Neuperlach und setzt sich aktiv für ein besseres Miteinander der Schüler ein. Die Mittelschule wird zwar aufgrund der Lage als "Brennpunktschule" eingeordnet. Theaterleiterin Clauss findet aber nicht, dass man sie als solche bezeichnen kann. Sie freut es besonders, wenn die Kinder auf sie zukommen und ihr erzählen, dass sie Freunde in anderen Klassenstufen gefunden haben. Ein frühes Indiz dafür, dass die Projektwoche fruchtet. Die Pädagogin sagt voller Zuversicht: "Ich glaube, dass es ein voller Erfolg wird."

Neuperlach: Die Mobbing-Szene wird auf der Bühne durchgespielt.

Die Mobbing-Szene wird auf der Bühne durchgespielt.

(Foto: Robert Haas)

Damit der respektvolle Umgang auch langfristig funktioniert, reichen fünf Schultage allein nicht aus. Das Lehrerkollegium plant deswegen bis zum Ende des Schuljahres mit gemeinsamen Maßnahmen das Gelernte zu verfestigen. Die Streitschlichter werden an der Schule weiter etabliert, ebenso wie Tutorienprogramme, bei denen sich die jungen Schüler an die Großen wenden können.

Auch im neuen Schuljahr soll es Änderungen geben. "Zammgrauft" ist in dieser Woche der Titel einer der Workshops, der sich mit verschiedenen Formen der Gewalt befasst. Ursprünglich von der Polizei ins Leben gerufen, gibt es das Projekt schon seit einigen Jahren. Lehrer wie Claudia Dotterweich, die an einem so genannten Multiplikatorenprogramm der Polizei teilgenommen haben, können den Kurs auch eigenständig halten. Sie will den jungen Menschen beibringen, auch mal "Nein" zu sagen und einzugreifen, wenn jemand gehänselt wird. Der Lerneffekt entsteht am besten durch offene Gesprächsrunden und den spielerischen Umgang mit den Themen. Vom kommenden Jahr an wird "Zammgrauft" für alle siebten Klassen als zweiwöchiges Projekt langfristig eingeführt, um das Bewusstsein der Kinder in Bezug auf Gewalt zu schärfen. Weitere Projekte für andere Stufen sind ebenfalls vorgesehen. So werden die Achtklässler sich als Prävention aktiv mit Drogenkonsum beschäftigen.

Bis es so weit ist, wird es bis zu den Sommerferien an den Türen der Schulräume bunte Folien mit Beschriftungen geben. Darauf finden sich kleine Erinnerungen für den höflichen Umgang, wie beispielsweise "Guten Morgen, könnte ich bitte ...", oder "Vielen Dank". Sie hängen dort nicht nur für die Schüler. Denn auch für manche Erwachsene würde eine kleine Verhaltensnotiz manchmal sicherlich auch nicht schaden.

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