Neuperlach:"Ich spüre die abschätzigen Blicke"

Klassische Musik im Münchner Bahnhofsviertel, 2010

Unterm Kopftuch: Viele muslimische Frauen beklagen die Ablehnung.

(Foto: Rumpf)

In Gesprächsrunden formulieren muslimische Frauen ihre Ängste und Sorgen angesichts wachsender Diskriminierung

Von Christina Koormann, Neuperlach

Im September schlug ein Mann in der Münchner U-Bahn einer Muslima zweimal ins Gesicht, beleidigte sie und ihre Mutter und schrie, sie sollten Deutschland verlassen. Am Odeonsplatz marschierte Pegida im Sommer zu Wagners "Walküre" gegen den Islam. Ein Vertreter der antimuslimischen Partei "Die Freiheit" warnte im Oktober bei einer Kundgebung in der Sendlinger Straße davor, sich nicht vom "vermeintlich freundlichen Gemüsehändler von nebenan" täuschen zu lassen.

In Neuperlach veranstaltet der Regsam-Facharbeitskreis "Interkulturelle Stadtteilarbeit Neuperlach" unter dem Titel "Heute reden wir" Gesprächsrunden für muslimische Frauen. "Hier können sie in geschütztem Raum über Erfahrungen und Sorgen sprechen", erklärt Christl Willmitzer vom Verein für Gemeinwesenarbeit und Stadtteilgestaltung "Zak" (Zusammen aktiv in Neuperlach). Angesichts wachsender Diskriminierung und Ausgrenzung schien ein solcher Gesprächskreis sinnvoll.

"Ich lebe seit 35 Jahren in Deutschland", sagt Ayse Ergül (Name geändert), eine Frau Mitte 40, die sich erst vor einigen Jahren dafür entschied, als Ausdruck ihres Glaubens ein Kopftuch zu tragen: "Ich habe mich hier nie fremd gefühlt, jetzt werden meine Kinder als ,Ausländer' beschimpft, und ich muss ihnen erklären, was das überhaupt bedeutet." Seit dem Amoklauf im Olympia-Einkaufszentrum hat sie Angst um ihre Kinder. Eine Gewalttat, hinter der zuerst ein islamistischer Angriff vermutet wurde, der aber letztlich vor allem Muslime als Opfer hatte. "Wir haben auch Angst vor Gewalt", sagt Ergül, "aber als Muslime werden wir von der Angst ausgeschlossen, weil viele sich von uns bedroht fühlen."

"In München gibt es aktuell wenige Fälle von gewaltbereiten salafistischen Jugendlichen, aber einen großen Anstieg von rechtsmotivierten Gewalttaten", berichtet Medine Saltabas vom Jugendkulturwerk des Stadtjugendamtes, "die Angst vor islamistischem Terror ist weitaus höher, obwohl die Bedrohung durch rechte Gewalt faktisch größer ist." Viele der Frauen wurden bereits beschimpft und bedroht - oft in der U-Bahn. "Ich fühle mich dort sehr unwohl", sagt eine junge Muslima, "einmal hat mich eine Frau geschubst, mir dafür die Schuld gegeben und mich verbal heftig angegriffen - die Mitfahrer lachten, niemand hat geholfen." Eine andere berichtet: "Ich sitze meist allein und spüre die abschätzigen Blicke - das tut weh."

Diese Art von Diskriminierung habe in jüngster Zeit zugenommen. Aber auch bei der Arbeitssuche und in den Schulen ihrer Kinder bemerken die Frauen im Gesprächskreis steigende rassistische Tendenzen. Daran seien auch die Medien schuld, die den Islam oft mit Terrorismus verknüpften. "Die Leute halten den Islam überhaupt für böse, aber viele kennen keine Muslime, es gibt keinen Dialog, die Vorurteile wachsen weiter", findet eine der Frauen. Ein weiterer Grund zur Sorge sei die Ausgrenzung durch Pegida und die AfD: "Schon die Parteiplakate suggerieren: Deutschland ist inkompatibel mit dem Islam. So wird ein Teil der deutschen Gesellschaft einfach ausgeklammert."

Kinder und Jugendliche, die mit einer solchen Ausgrenzung aufwachsen, hätten es noch schwerer, Selbstbewusstsein und Identität aufzubauen. Deshalb sei es wichtig, ein offenes Ohr für sie zu haben, über Ängste zu sprechen, sie zu unterstützen und zu stabilisieren. "Diskriminierungsvorfälle sollten in jedem Fall gemeldet werden", rät Birgit Riegler. Hilfe gibt es bei Beratungsstellen wie "before", im Sozialbürgerhaus, beim "Netzwerk demokratische Bildung München", dem Kreisjugendring, zivilgesellschaftlichen Bündnissen wie "München ist bunt" und dem Bildungskollektiv "Die Pastinaken".

Bei fehlendem Rückhalt und andauernder Ablehnung bestehe auch die Gefahr, dass Jugendliche sich - ähnlich wie Rechtsextreme - radikalisieren. "Die Abgrenzung zwischen dem 'Wir' und dem 'Ihr' stellt die Weichen", sagt Saltabas. In einer Gruppe, die einfache Lösungen anbietet, ein klares Bild von "richtig" und "falsch" vertrete und ein Zugehörigkeitsgefühl vermittle, fühle sich ein junger Mensch anerkannt - und sei eventuell bereit, für ein "höheres Ziel" zu kämpfen. Um Vorurteile abzubauen, wäre mehr Austausch "sehr positiv".

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