Süddeutsche Zeitung

Neuperlach:Ein Stadtbezirk als Spielfeld

Minecraft und eine virtuelle Analyse sollen Jugendliche ermuntern, ihr Umfeld nach ihren Wünschen zu gestalten

Von Annette Jäger, Neuperlach

Jugendliche gestalten ihr Neuperlach der Zukunft. Das ist die Idee hinter zwei Jugendbeteiligungsprojekten, die ganz neu in dem Stadtviertel gestartet sind. Im Zuge der von der Stadt München geplanten Stadtsanierung des 16. Bezirks Ramersdorf-Perlach sollen auch Wünsche, Ideen und Bedürfnisse von Jugendlichen einfließen. Über das Online-Computerspiel Minecraft und eine virtuelle Stadtteilanalyse soll das gelingen.

Die geplante Stadterneuerung will Neuperlach in den kommenden zehn bis 15 Jahren lebenswerter machen, Aufenthaltsqualitäten, Kultur- und Bildungsangebote wie auch die Verkehrsanbindung verbessern. Dabei ist die Meinung der Jugendlichen erwünscht. Sie für das Thema Stadtplanung zu gewinnen, ist aber nicht ganz einfach, weiß Ulrich Tausend, medienpädagogischer Referent beim Medienzentrum München und Ideengeber der beiden Jugendbeteiligungsprojekte. Eine gemeinsame Stadtführung, der klassische runde Tisch oder Diskussionsrunden laufen eher ins Leere, hat er erfahren. "Stattdessen können digitale Medien neue Räume für Kommunikation eröffnen, da sie von den Jugendlichen eher angenommen werden."

Statt der üblichen Graslandschaften und Bergwelten, in denen Computerspieler sich beim Onlinespiel Minecraft ihre eigenen Welten erbauen, sind jetzt 500 Hektar Neuperlach das Spielfeld. Straßenzüge, das PEP, der Freizeitpark oder Parkplätze sind maßstabsgetreu dargestellt. Jugendliche, die sich über einen offenen Server einloggen (über www.mitmischenim16er.de), können ihr Neuperlach virtuell neu bauen, etwa ein Jugendzentrum, wie sie es sich wünschen, oder Treffpunkte gestalten, von denen sie träumen. Die Regeln fürs gemeinsame Bauen haben die Jugendlichen selbst festgelegt.

Ergänzt wird das neue Minecraft-Neuperlach durch eine virtuelle Stadtteilanalyse, die die Jugendlichen selbst vornehmen. Die Idee dazu hatte Tausend vor einigen Jahren, als er mit Jugendlichen am Hasenbergl arbeitete. Damit er dort die Treffpunkte der jungen Leute kennenlernte, sollten sie ihn durch das Stadtviertel führen. "Die Jugendlichen hatten aber wenig Interesse, mir als dem Neuen eine Stadtführung zu geben." Als er stattdessen in einem Jugendcafé auf seinem Laptop das Hasenbergl auf einer virtuellen Streetmap selbst erkundete, kamen die Jugendlichen plötzlich freiwillig dazu und zeigten ihm ihre Treffpunkte.

Entstanden ist in der Folge eine interaktive Landkarte, wie sie jetzt auch in Neuperlach gestartet wurde. Heranwachsende können ihr Spezialwissen über ihren Stadtteil - wo sie gerne hingehen, wo sie etwas ändern wollen, wo problematische Bezirke sind - in die Landkarte eintragen und auch eigene Fotos integrieren. Dabei ist Platz für Wünsche und Forderungen.

Wenn die Kids sich für etwas einsetzen, können sie auch etwas verändern - diese Erfahrung sei wichtig an solchen Beteiligungsprozessen, sagt der medienpädagogische Referent Ulrich Tausend. "Dabei sollte aber nicht die Erwartung entstehen, dass ihre individuellen Ideen eins zu eins umgesetzt werden." Denn enttäuschte Erwartungen können zu Politikverdrossenheit führen. Beide Projekte laufen vorläufig bis Ende des Jahres. Bereits Mitte November sollen erste Ergebnisse präsentiert werden.

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Quelle:
SZ vom 13.10.2020
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