Süddeutsche Zeitung

Neuperlach:Ein Ende als Neuanfang

Nach fünf Jahren Zwischennutzung muss der Kunsttreff Quiddezentrum Neuperlach verlassen - hat aber bereits ein neues Refugium in Moosach gefunden. Zum Abschied gibt es am letzten Tag noch eine große Sause

Von Renate Winkler-Schlang, Neuperlach

Sie sei schon traurig, sagt Ingrid Müller. Die 49-Jährige ist Künstlerin, Vorsitzende und Gründungsmitglied des Vereins Kunstrefugium und Hauptorganisatorin des Kunsttreffs Quiddezentrum. Letzteres aber nur noch bis zum Samstag, 25. Mai. An diesem Tag öffnet dieser kreative Ort, der früher ein Ladenzentrum mit Stadtbücherei war, nach fünf Jahren Zwischennutzungs-Kulturbetrieb zum definitiv letzten Mal, und es geht damit eine kleine Erfolgsgeschichte zu Ende. Das Wichtigste für Ingrid Müller: "Es war ein Feld, um Dinge auszuprobieren." Das galt für sie selbst, ihre künstlerische Entwicklung und ihr Organisationstalent ebenso wie für viele andere, Profis und Laien. "Es war eine Plattform. Jeder konnte sich zeigen." Sie erinnert sich an eine Schau mit Werken von Neuperlachern, darunter Bilder eines begabten Kindes ebenso wie das einer 90-Jährigen, die überglücklich zum allerersten Mal ausstellte. "Da spielte so viel mehr rein als nur die Kunst - auch das Soziale."

Es hatte sich alles wunderbar gefügt: Die Eigentümerin WSB (Wohnungs- und Siedlungsbau München) hatte diesen Leerstand, für ein halbes Jahr, hieß es zunächst. Zu zahlen waren nur die laufenden Kosten. Manfred Ossenbrunner, ein engagierter Neuperlacher, wollte Verwahrlosung vermeiden und hatte die Idee, bis zum Abriss Kunst zu zeigen. Er kannte Ingrid Müller und sprach sie an. Sie präsentierte bald ein Konzept mit im Zwei-Wochen-Turnus wechselnden Werkschauen in der früheren Bücherei. Aus den Läden wurden Ateliers. Bezirksausschuss und Kulturreferat boten Unterstützung: "Ideale Bedingungen", sagte Ingrid Müller schon zu Beginn. Sie hielt die Aufgabe, die für ein halbes Jahr gedacht war, begeistert fünf Jahre durch.

Natürlich war nicht alles immer Sonnenschein, mancher Künstler hinterließ die Räume unaufgeräumt und sie musste selbst putzen, im dritten Winter fiel die Heizung aus. Doch im Rückblick ist die Bilanz nur positiv: knapp 90 Ausstellungen von Berufskünstlern, Freizeitmalern oder Nachwuchstalenten, von studierten Künstlern oder Autodidakten, Künstlergruppen aus ganz Deutschland, aber auch Österreich. Zusätzlich lockten Lesungen, Performances, Konzerte, Theateraufführungen. Die Münchner Schulen zeigten "Kunst bewegt Schule", die Wilhelm-Busch-Realschule "Head, hand and heart". Es gab die Werke der in Neuperlach bekannten, verstorbenen Künstler Wolfgang Niesner und Wolfgang Wölfl zu sehen. Mit dem Projekt "art in motion" wurde die Symbiose aus bildender Kunst, Musik und Tanz erlebbar. "Nicht zu vergessen natürlich die Eröffnung des Neuperlacher Zoos, mit dem die Street-Art-Gruppe Blauer Vogel das Quiddezentrum zu einem Hotspot für Spaziergänger machte", erinnert sich Müller.

Alleine musste sie das alles nicht stemmen. Ihr Mann Frank, selbst Hobbyfotograf, stand ihr in technischen Dingen zur Seite. Sie erinnert sich auch an Projekte, die sie mit Richard Schleich, Lieselotte Ott und Manuela Clarin initiiert hat, so das Land-Art-Projekt mit Flüchtlingen 2015 oder die Themenausstellung "Heimat" und natürlich das größte Ereignis: "50 Gesichter Neuperlachs" zum 50-Jährigen des Stadtteils, bei dem Ute Schwab zum Organisationsteam dazukam. "Wichtig war auch die Mach-mit-Reihe, bei der Aktzeichnen, Druckverfahren, Papierschöpfen und vieles mehr als offenes Angebot ausprobiert werden konnten." Dazu gehörte der "Skulpturengarten", an dem sich auch eine Künstlerin aus Belgien und mehr als 20 Kinder des Kindertreffpunkts Oskar-Maria-Graf-Ring beteiligten.

Seit bekannt wurde, dass der Abriss nun wirklich näher rückt, wurde es etwas ruhiger, und statt der wechselnden Ausstellungen kam mit "Art Space" eine beständige Schau von 16 Mitgliedern des Kunstrefugiums, die seit einem halben Jahr jeden Samstag von 15 bis 19 Uhr geöffnet ist.

Auch wenn der 25. Mai ein Tag des Abschieds ist, ist der Blick der Organisatoren nach vorne gerichtet. Die WSB hat an der Donauwörther Straße 51 in Moosach ein Ersatzgebäude für die Fortführung des Kunsttreffs angeboten. "Es ist um einiges kleiner, aber es geht weiter. Dieses Ende ist gleichzeitig ein Neuanfang", so Müller. Am 11. Juli geht es dort los.

Vorher gibt es an der Quiddestraße 45 die große Abschiedssause: Am Nachmittag sind alle Künstler aus den Ateliers rund um den Treff da: Jan Deichmann alias CAZ 132, Robert Posselt, Katharina Belaga, Manuela Clarin, Ingrid und Frank Müller und Angela Widholz. Natürlich wird auch Manfred Ossenbrunner dabei sein, um 17 Uhr bietet er eine kleine Führung durch die Ateliers und den Skulpturengarten, stellt die Künstler vor und steuert die eine oder andere Anekdote aus fünf Jahren bei. Davor gibt es um 16 Uhr mit Katharina Belaga die Malaktion "Freundschaftsband": Ein zehn Meter langes Bild ist vorbereitet, auf dem sich jeder zum Kunsttreff mitteilen oder mitgebrachte Fotos und Zeitungsausschnitte aufkleben kann. Um 18 Uhr steht im Atelier Belaga zum Ausklang noch ein Klavierkonzert mit Maria Roters an.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2019
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