Süddeutsche Zeitung

Neuperlach:"Das Engagement hier ist erstaunlich"

Elf Studenten aus North Carolina sind nach Neuperlach gekommen, um ehrenamtlich Flüchtlingen zu helfen

Von Hubert Grundner, Neuperlach

Es braucht oft keinen flammenden Appell, um den Sprung in eine fremde Welt zu wagen. Manchmal genügt dafür auf einer Facebook-Seite und einer Mailing-Liste ein schlichter Satz: Opportunity to Help Refugees in Munich, also "Eine Gelegenheit, Flüchtlingen in München zu helfen" stand da zu lesen. Gerichtet war dieses Angebot an die Mitglieder des Deutschklubs, die sich an der East Carolina University in Greenville/North Carolina treffen, um ihre Deutschkenntnisse zu vertiefen. Elf amerikanische Studenten haben diese Gelegenheit ergriffen: Am Samstag sind sie in München angekommen, um während ihrer Frühlingsferien in einer Flüchtlingsunterkunft mitzuarbeiten. Begleitet von ihrem Professor, dem Germanisten David Smith, haben sie am Montagvormittag an der Arnold-Sommerfeld-Straße in Neuperlach gleich angepackt: Sie verteilen Willkommenspakete, die unter anderem eine Mütze und einen Schal enthalten, an die rund 90 Afghanen und 60 Iraker, die hier untergebracht sind.

Die Idee, sich so zu engagieren, stammt von den Studenten selbst, wie Paige Vaughan und Anthony Razov erklären. Sie sind Vize-Präsidentin beziehungsweise Präsident des Deutschklubs. Bei ihren wöchentlichen Treffen sei die Frage aufgekommen, was man außerhalb der Universität unternehmen könnte. Dann habe man die Bilder von den Menschen in den überfüllten Booten auf dem Mittelmeer gesehen und von der Flüchtlingskrise in Deutschland gehört. Die Studenten, erklärt Professor Smith, wollten zum einen helfen und zum anderen auch selbst etwas lernen, und fragten: "Was können wir tun?" Schließlich bat Anthony Razov ihn, Smith, die Verbindung zu einer Hilfsorganisation in Deutschland herzustellen, was er auch tat. Und da der Helferkreis Waldperlach offenbar am schnellsten antwortete, hat es die jungen Amerikaner und ihren Professor nun an die südöstliche Peripherie Münchens verschlagen.

Aber beim Verteilen von Kleidern und Lebensmitteln soll es nicht bleiben. Die Studenten, die Deutsch als Haupt- oder Nebenfach belegt haben, werden in den kommenden Tagen selbst zu Lehrern - sie geben den Flüchtlingen Deutsch- und Englischkurse. Außerdem helfen sie den irakischen und afghanischen Männern beim Ausfüllen von Fragebögen: Die Flüchtlinge sollen darin ihre schulische und berufliche Ausbildung angeben, aber auch ihre Interessen und Hobbys nennen.

Die Idee für diesen Fragebogen hatten die Mitglieder des Helferkreises Waldperlach. Sie hoffen, damit ihre Unterstützung zielgerichteter anbieten zu können. Möglicherweise könnte ein solcher ausgefüllter Fragebogen auch bei Behördengängen gute Dienste leisten.

Zunächst aber geht es für Jürgen Daschner und Karl Bachsleitner, den Leiter des Helferkreises und seinen Stellvertreter, darum, dem Alltag der Bewohner eine Struktur zu geben - ein für alle Beteiligten kräftezehrendes Unterfangen. "Die ersten vier Wochen waren echt hart", sagt der gelernte Kirchenmusiker Bachsleitner. Was angesichts der Vorgeschichte der Gemeinschaftsunterkunft (GU) nicht verwundert: Beinahe eineinhalb Jahre stand der Helferkreis bereit, während sich die Eröffnung der GU - erst im Gefilde, dann gegenüber von Siemens - verzögerte. Und als am 5. Februar die GU an der Arnold-Sommerfeld-Straße eröffnete, geschah das praktisch ohne Vorlauf. Von heute auf morgen musste der Betrieb von null auf hundert hochgefahren werden. Und aus der Betreuung sei gerade in den Anfangstagen fast schon ein Vollzeitjob geworden, sagt Bachsleitner. Inzwischen aber habe sich alles wieder etwas beruhigt, womit auch die Nachbarschaft gemeint ist. "Der Helferkreis ist unglaublich aktiv, das nimmt viel Druck raus", betont Bachsleitner und fügt hinzu: "Wir bieten Starthilfe an."

Wie und ob das funktioniert, werden Professor Smith und die Studenten aus North Carolina noch bis zum Sonntag verfolgen. Ihnen ist bewusst, dass es auch hier Vorbehalte gegen Flüchtlinge gibt - "wir sind nicht naiv". Das Positive überwiegt aber nach ihrem ersten Eindruck, weshalb sie auch in ihrer Heimat das Thema Ehrenamt voranbringen wollen: "Das Engagement hier ist erstaunlich", lobt Smith die Leute vom Helferkreis Waldperlach.

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SZ vom 08.03.2016
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