Süddeutsche Zeitung

Neuhausen/Schwanthalerhöhe:Sie müssen sich raushalten

Das Demokratiemobil will zu politischer Beteiligung animieren - idealerweise vor der Kommunalwahl. Einzelne Kandidaten hadern aber damit, sich dann nicht präsentieren zu dürfen

Von Sonja Niesmann, Neuhausen/Schwanthalerhöhe

Auf dem Pflaster steht ein Dutzend Plastikeimer, unter ihnen liegen Zettel mit Sätzen wie "Ich weiß, wann die Kommunalwahl ist." Oder: "Ich kenne einen OB-Kandidaten." Oder auch: "Was die Mehrheit sagt, ist immer richtig." Passanten können einen Tennisball in den Eimer werfen, einen weißen für Nein, einen roten für Ja. Mit Methoden wie diesem "Stimmungsbarometer" will das Demokratiemobil des Kreisjugendrings (KJR) München-Stadt auf entspannte Art Menschen zum Stehenbleiben, Diskutieren, zur Auseinandersetzung mit Demokratie, im besten Fall zu politischer Beteiligung bringen. Ohne bedrängend, belehrend, papierlastig zu sein. Erreicht werden sollen vor allem Menschen, die politisch nicht (sehr) gebildet sind oder denen das zu kompliziert oder gleichgültig ist.

Verstärkt wird das kleine Team des Demokratiemobils beim Halt in den Vierteln üblicherweise von Mitarbeitern der Nachbarschaftstreffs oder Bildungslokale und auch von zwei, drei Mitgliedern des örtlichen Bezirksausschusses (BA), als Experten für Stadtteil-Details. Weil aber parteipolitische Neutralität ein Kernelement des Demokratiemobils ist, "erfahrungsgemäß vor Wahlen der Ton auch schärfer wird" und man keine Bühne für Politiker-Selbstdarstellung bieten wolle, sagt Theresa Baum vom KJR München-Stadt, habe man in Abstimmung mit der Fachstelle für Demokratie im Rathaus beschlossen, dass bei Stopps in den letzten Monaten vor der Kommunalwahl am 15. März 2020 keine BA-Mitglieder aktiv mitwirken sollen, die wieder kandidieren. "Kommen und zuschauen können die natürlich, aber sie müssen sich raushalten", präzisiert Baum.

Im Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe hatte damit niemand ein Problem, das Gremium möchte das alte Feuerwehrauto, das seit 2017 demokratieankurbelnd durch die Stadt tourt, unbedingt noch vor der Wahl, im Februar oder März, am Schwanthaler Forum haben, möglichst gleich an zwei Tagen. Schließlich sei gerade die Kommunalwahl mit ihren ellenlangen Kandidatenlisten und der Möglichkeit zu "kumulieren" und zu "panaschieren" eine komplizierte, auf manche vielleicht abschreckend wirkende Sache.

Bei den Nachbarn in Neuhausen-Nymphenburg dagegen löste das Gefühl, an den Rand gedrängt zu werden, eine gewisse Pikiertheit aus und führte bei der Vorberatung im Unterausschuss Bildung zur knappen Mehrheitsentscheidung: dann lieber erst nach der Wahl. In der Plenumssitzung am Dienstagabend wurde die Debatte noch einmal aufgerollt. Für einen Zeitpunkt nach der Wahl machte sich zuvorderst Alexander Ott, Fraktionssprecher der Grünen, stark. Peter Loibl von der Arbeitsgemeinschaft für Neuhausen (AGS) und Nima Lirawi (CSU) sahen damit eine Chance vertan. Das Demokratiemobil wolle doch vor allem die große Schar der Nichtwähler ansprechen und gerade auch junge Leute zum Kreuzchenmachen motivieren. In der jüngsten Vergangenheit ist die Wahlbeteiligung in München gerade bei Stadtrats-, Oberbürgermeister- und Bezirksausschusswahlen - ohnehin auf niedrigem Niveau - stetig gesunken. 2002: 51,2 Prozent, 2008: 47,6 Prozent, 2014: 42 Prozent. Regelmäßig setzt nach dem Urnengang eine öffentliche Debatte über Ursachen und Möglichkeiten des Gegensteuerns ein.

Wolfgang Schwirz (CSU) versicherte, er fühle sich durchaus imstande, Fragen über BA-Belange zu beantworten, ohne dabei den Parteipolitiker herauszukehren. Sein Parteikollege Matthias Dörfl, der seine erste Sitzung als Nachrücker für Barbara Roth absolvierte, verstand den Konflikt überhaupt nicht: "Warum sollten wir uns da nicht präsentieren?", sagte er kopfschüttelnd, als jemand, der sich zur Wahl stelle. "Weil das Demokratiemobil eben eine neutrale Institution ist!", gab Loibl zurück. Infostände der Parteien samt dauerlächelnden Kandidaten, Programmen, Fähnchen und Kugelschreibern wird es ja in jenen Wochen allerorts im Viertel geben.

Asko Hochdorn (CSU) warf schließlich die Frage in die Runde, wozu man überhaupt das Demokratiemobil brauche: "Warum machen wir das nicht einfach selbst?" Schließlich musste auch noch das Wetter zur Argumentation herhalten: Am Rotkreuzplatz, bevorzugter Standort für das Angebot, könne man bei schlechtem Wetter nirgends unters Dach schlüpfen. "Wollen wir die wirklich im Regen stehen lassen?" Eine Entscheidung vertagte das Gremium schließlich mit 15 zu elf Stimmen auf November.

Sie könne den Unmut "zu Teilen" verstehen, kommentiert Theresa Baum, schließlich leisten Bezirksausschuss-Mitglieder ihre Arbeit Jahr um Jahr ehrenamtlich und wollen sich auch gewürdigt sehen. "Kein Drama", wenn das Feuerwehrauto erst im Sommer in Neuhausen Station mache, "wir haben ohnehin immer mehr Anfragen, als wir schaffen können." Schade fände sie es allerdings, wenn ein Termin in Neuhausen vor der Wahl "nur an diesem einen Punkt hakt".

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SZ vom 18.10.2019
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