Süddeutsche Zeitung

Neuhausen:Granatäpfel und Potenzpillen

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Der Fotograf Erwin Geiss zeigt in der Galerie Edition Camos seine Version der Sieben Todsünden

Interview von Jutta Czeguhn, Neuhausen

Wer könnte, spontan gefragt, aus dem Stand alle Sieben Todsünden aufzählen? Sie scheinen irgendwie aus der Mode gekommen. Doch warum sollte es ihnen besser ergehen als den Zehn Geboten. Der Fotokünstler Erwin Geiss hat sie sich nun alle für eine neue Werkgruppe vorgenommen; den Hochmut, den Geiz, die Völlerei, und als da noch wären Neid, Lust, Trägheit und der Zorn. Seine Stillleben sind in Arrangement und Komposition den Genrebildern des 17. Jahrhunderts nachempfunden - die ja auch keinesfalls nur todernst waren, sondern mit subtilen ironischen Brechungen arbeiteten. Erwin Geiss' Todsünden sind noch bis zum 22. Dezember in der Galerie Edition Camos, Aldringenstraße 1 A, ausgestellt (Dienstag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr, Samstag von 11 bis 14 Uhr). Ein paar Fragen an den Fotografen über Laster und die Kunst.

SZ: Gibt es aus Ihrer Sicht so etwas wie "Todsünden"? Das ist ja ein ziemlicher Drohbegriff katholischerseits?

Erwin Geiss: Ich bin ein sehr lebensbejahender Mensch, insofern stellen die "Todsünden" für mich keine "Drohgebärde" dar. Andererseits war der Begriff der "Todsünde" für mich schon der Anlass, mir Gedanken über den - auch persönlichen - Wertekanon zu machen. Wir schieben kollektiv, aber auch als Einzelne, Grenzen immer weiter hinaus. Manches davon ist befreiend, aber vielleicht ist manches auch zu viel. Beispielsweise steht das Selfie für mich an so einer Grenze zwischen Selbstbewusstsein und Hochmut. Die Sucht nach immer geileren Selfies haben nun tatsächlich schon einige mit dem Tod bezahlt.

Welche Sünde aus diesem Lasterkatalog ist Ihnen, wenn man es so formulieren darf, die sympathischste, rein künstlerisch gesehen?

Als Künstler probiert und experimentiert man gerne. Von daher sind die "Sünden", die unmittelbar mit Übertreibung und Opulenz zu tun haben, wie Völlerei und Wollust, natürlich zunächst dankbarer zu inszenieren als etwa Neid und Trägheit. Andererseits haben die einzelnen Themen im Laufe der Zeit alle für mich ihren ganz speziellen Reiz entwickelt, und manchmal ging es bei der Realisierung plötzlich in eine Richtung, die ich vorher gar nicht so konzipiert hatte.

Wie sind Sie bei der Auswahl der Dinge für die Stillleben vorgegangen?

Das Thema hat mich über mehrere Jahre begleitet (oder verfolgt?). Meine Stillleben sind ja meistens von der klassischen Stilistik und Ikonografie her entwickelt, um dann einen Bogen ins Heute zu schlagen. So kommen dann bei der "Wollust" Feige und Granatapfel zu Handschellen und Potenzpillen. Manchmal liefert auch ein Sprichwort, ein Märchen oder eine Gedichtzeile den Aufhänger, um den herum ich die Arbeit entwickle. Und ganz häufig "verstecke" ich irgendwo kleine Rätsel oder auch persönliche Geschichten. Die Bilder sollen ja nicht belehren, sondern Spaß machen. Trotz der Todsünden ...

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Quelle:
SZ vom 25.11.2017
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