Neuhausen:Geschlechtsneutral

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Seit 18 Jahren leitet Ursula Steindl das Blindenheim an der Winthirstraße. Die Einrichtung heißt seit diesem Mittwoch Seniorenstift für sehbeeinträchtigte und blinde Menschen. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Heim für blinde Frauen nimmt jetzt Männer auf. Das spiegelt sich im neuen Namen

Von Julius Bretzel, Neuhausen

Fragt man einen Taxifahrer in Perlach nach dem Heim für blinde Frauen am anderen Ende der Stadt, findet er hin - davon ist Ursula Steindl überzeugt. Sie leitet die Pflegeeinrichtung an der Winthirstraße in Neuhausen, eine Münchner Institution. Weil jetzt auch Männer aufgenommen werden, wurde das Heim am Mittwoch umbenannt. Der neue Name ist sperrig: Seniorenstift für sehbeeinträchtigte und blinde Menschen. Eine ausgeglichene Geschlechterverteilung wird sich dort aber nur langsam einstellen. Das ist mehreren Umständen zuzuschreiben.

Für die Namensänderung, erklärt Steindl, sei der neue Vorstand verantwortlich, der seit Anfang 2017 im Amt ist. Der bestehe aus zwei Frauen und zwei Männern und habe mehr Modernisierung gefordert. "Nach der neuen Satzung können wir auch Männer aufnehmen", sagt Steindl. Genau genommen sei dies aber schon länger möglich: Da bei der Generalsanierung des Hauses von 1992 bis 1995 die Finanzierung dreier Heimplätze von einem externen Verein übernommen wurde, durfte dieser fortan auch jene Plätze vergeben - unabhängig vom Geschlecht der Bewohner.

Dass bei insgesamt 89 Plätzen der Anteil an männlichen Bewohnern in naher Zukunft stark steigt, bezweifelt Steindl dennoch - aus unterschiedlichen Gründen. Zunächst sei da die Tatsache, dass der Anteil an Männern in der stationären Pflege generell geringer sei. "Frauen unserer Generation werden sehr viel älter. Und die Männer werden meistens von ihren Frauen oder Töchtern gepflegt", weiß Steindl. Ein weiterer Aspekt sei, dass sich viele Frauen vorsorglich in die Warteliste des Blindenheims eintragen. "Männer sind dagegen meistens spontan. Und wenn die ganze Liste mit Frauen besetzt ist, rutschen diese nach." Die Warteliste des Heims sei schier endlos, manche Frauen stünden bereits seit 15 Jahren darauf. "Da kann ich den Platz einfach nicht an einen spontanen Mann vergeben", erklärt Steindl.

Grund für die extreme Auslastung sei zum einen, dass Sehbeeinträchtigungen und Blindheit im Alter zunehmen. "Unsere Lebenserwartung ist wesentlich höher als früher. Und die Pflegekräfte in anderen Einrichtungen sind das Agieren mit Menschen, die nichts oder wenig sehen, einfach nicht gewohnt." Die Kapazitäten sind also begrenzt, während die Nachfrage wächst. Hinzu kommt, dass im gesundheitspolitischen Bereich vermehrt das Motto "ambulant vor stationär" gilt. Ambulante Pflege wird demnach besser gefördert. "Im stationären Bereich ist die wirtschaftliche Belastung immens", sagt die Leiterin des Blindenheims, das nur begrenzt über Kurzzeitpflegeplätze verfügt.

Der Bedarf, schätzt Steindl, sei mit der neuen politischen Vorgabe um das Fünffache gestiegen. "Am Tag fragt uns mindestens ein Krankenhaus an, ob wir nicht einen Kurzzeitpflegeplatz hätten." Und die stationäre Pflege sei durch die Unterstützung der ambulanten keineswegs entlastet: "Wenn die Betreuung daheim nicht mehr möglich ist, muss man trotzdem ins Heim." Das Ergebnis sind Auslastungen, die eine kurzfristige Veränderung der Bewohnerstruktur kaum zulassen und damit verhindern, dass bald viele Männer im neu getauften Seniorenstift für sehbeeinträchtigte und blinde Menschen einziehen.

Ursula Steindl vermutet aber, dass die Einrichtung nach ihrer Namensänderung auch von der männlichen Klientel mehr Aufmerksamkeit bekommt. Wenn sich dann die Warteliste gleichmäßig mit Bewerbern beider Geschlechter gefüllt hat, verändert sich mit der Zeit auch das Geschlechterverhältnis der Bewohner. Wie schnell sich der neue Name durchsetzt, wird sich zeigen.

© SZ vom 17.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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