Süddeutsche Zeitung

Neues Versammlungsrecht:"Ein verfassungswidriges Gesetz"

Der Stadtrat streitet über das neue Versammlungsrecht: KVR-Chef Blume-Beyerle hat Bedenken gegen die Pläne der CSU, eine breite Mehrheit lehnt den Entwurf ab.

Berthold Neff

Eine breite Stadtratsmehrheit von SPD und Grünen, FDP und Linkspartei hat am Dienstag den Landtag aufgefordert, das neue verschärfte Versammlungsrecht für Bayern wegen verfassungs- und bürgerrechtlicher Bedenken nicht zu beschließen. Nach zweistündiger Debatte im Kreisverwaltungsausschuss schlossen sich lediglich CSU und Bayernpartei diesem Appell nicht an.

Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle hatte zuvor klargemacht, dass er das von der Staatsregierung als Entwurf vorgelegte Gesetz "in Teilen für verfassungswidrig" hält. Er hat deshalb einen eigenen KVR-Entwurf für dieses Gesetz vorgelegt, den die Staatsregierung allerdings bisher weitgehend ignorierte. Der landesweite Protest von Opposition, Gewerkschaften und auch die von Juristen bei einer Anhörung im Landtag vorgetragene Kritik haben aber dazu beigetragen, dass die CSU nun zumindest einzelne Passagen des umstrittenen Gesetzes ändern will.

Das neue Versammlungsgesetz soll - nun erstmals auf Länderebene - eine Grundlage liefern, um an nationalsozialistische Aufmärsche erinnernde Demonstrationen von Neonazis mit ihrem provokativ-militärischen Auftreten vor allem an symbolhaften Orten verhindern zu können. Dieses Anliegen wird von allen Parteien mit Ausnahme der NPD auch begrüßt.

Dennoch stößt das vom Freistaat geplante Gesetz auf eine breite Front der Ablehnung im Stadtrat, weil es die Rechte aller Demonstranten unzulässig einschränke. "Die Bekämpfung rechtsextremistischer Aufmärsche soll nicht durch die Beschneidung des Versammlungsrechts für alle Bürger Bayerns erfolgen", heißt es in dem gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen. Die FDP-Stadträtin Nadja Hirsch kritisierte, dieses "obrigkeitsstaatliche Gesetz schränkt die Bürgerrechte unzulässig ein".

Rot-Grün im Rathaus hat im Änderungsantrag für den Ausschuss ein Dutzend Argumente gegen das Gesetz aufgelistet. Die Stadträte Siegfried Benker (Grüne) und Josef Assal (SPD) kritisieren, dass künftig sogar Versammlungen in geschlossenen Räumen bekanntgegeben werden müssen. Sie wehren sich dagegen, dass Versammlungsleiter die Kundgebung sofort abbrechen sollen, sobald aus der Versammlung heraus Einzelne Gewalttaten begehen. Außerdem sei es nicht akzeptabel, dass künftig die Einsatzleiter der Polizei darüber entscheiden könnten, ob eine Versammlung einen militanten Eindruck macht und deshalb beendet werden muss.

Auch KVR-Chef Blume-Beyerle würde dieses "Militanzverbot" lieber streichen und hat vorgeschlagen, es durch ein Gebot der Friedlichkeit zu ersetzen. Bedenken macht er auch hinsichtlich des Uniformierungsverbots geltend, weil darunter bei enger Auslegung auch die einheitlichen Überziehwesten der Gewerkschaften fallen könnten. Blume-Beyerle, Chef von Bayerns größter Ordnungsbehörde, lehnt zudem ab, dass im neuen Gesetz nun explizit davon die Rede ist, dass die Rechte Dritter - etwa der Geschäftsleute entlang einer Demo-Route - geschützt werden sollen. Drohende Umsatzeinbußen, so Blume-Beyerle, sollten damit nicht gemeint sein, sondern höchstens jene "Rechtsgüter Dritter, die selbst Grundrechtsqualität haben oder sich aus Grundrechten ergeben".

Die CSU-Stadträte Robert Brannekämper und Michael Kuffer bemühten sich, die Bedenken der anderen Stadträte gegen das Gesetz zu zerstreuen. Kuffer kritisierte, Rot-Grün habe den Eindruck erweckt, "die Demokratie brenne lichterloh". Dabei versuche die Staatsregierung doch nur, rechtsextremistischen Aufmärschen wirksam zu begegnen. Was die Rechte Dritter betrifft, verteidigte Kuffer dabei sogar Positionen, an denen die Landtags-CSU offenbar gar nicht mehr festhalten will.

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SZ vom 11.06.2008/sonn
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