Neues Profil:Big Data statt Platon

Eugénia da Conceição-Heldt ist dabei, als neue Rektorin die Hochschule für Politik von Grund auf neu zu gestalten. Eine Mission in politisch turbulenten Zeiten

Von Martina Scherf

Geblieben ist nur der Name: Hochschule für Politik (HfP). Doch was sich hinter der Marke verbirgt, hat mit der früheren bayerischen Hochschule gleichen Namens so gut wie nichts mehr zu tun. Es gibt eine schicke neue Adresse, neues Personal, eine geänderte Studienordnung, eine mächtige Schwesteruniversität und eine neue Rektorin. Die heißt Eugénia da Conceição-Heldt und hat seit Herbst ganz schön viel zu tun. Eine Hochschule von Grund auf neu zu gestalten, das ist eine Herkulesaufgabe. Die zierliche Portugiesin geht sie mit Elan an.

Viel Glas, Chrom und helles Holz - das Brienner-Forum hinter dem Lenbachhaus

ist eine der Top-Büroadressen in München. Videoüberwachung, Kita und Fitnessraum inklusive. Unmittelbare Nachbarschaft zum Kunstareal und zur Technischen Universität München (TUM), der großen Schwester. Für die HfP der ideale Ort.

Eugénia da Conceição-Heldt sitzt in ihrem Büro im vierten Stock, die Regale sind noch weitgehend leer, auf dem Schreibtisch steht nur ein großer nagelneuer Apple-Bildschirm. Ihr Blick schweift zu den bodentiefen Fenstern, die zur Richard-Wagner-Straße hinausweisen, "ja", sagt sie, "es ist sehr schön hier. Aber um ehrlich zu sein: Von der Umgebung habe ich noch nicht viel gesehen."

Nicht mal ins Lenbachhaus, das mit seiner Goldfassade herüberglänzt, hat sie es bisher geschafft. Geschweige denn in die Oper, die sie so liebt. Stattdessen befasst sie sich mit Bewerbungen, Konferenzen und Meetings. "Aber es macht Spaß, so eine Hochschule mitzugestalten. Gerade jetzt, in politisch so turbulenten Zeiten."

Die 46-Jährige ist Spezialistin für europäische Integration, internationale Organisationen und Verhandlungen. Die Arbeit der Troika hat sie in einem Buch jüngst kritisch untersucht, dieses Gremium aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission, das sich im südlichen Europa ziemlich unbeliebt gemacht hat, weil es im Gegenzug für Kredite mitregieren wollte. "Dass Technokraten es nicht für notwendig sahen, sich vor den nationalen Parlamenten zu rechtfertigen, war ein neues Phänomen", sagt sie.

Und die Ereignisse überschlagen sich. Gerade jetzt, wo Europa auseinanderzubrechen droht, gibt es viele Fragezeichen. "Der Brexit ist verheerend", sagt die Forscherin mit ungewöhnlich deutlichen Worten, "am Ende werden wir alle die Verlierer sein". Wenn Trump jetzt einen Handelskrieg beginne, "dann stehen wir vor einer Situation wie in den Dreißigerjahren". In ihrer Stimme schwingt Besorgnis mit, obwohl sie Gefühle als Wissenschaftlerin eigentlich lieber zurückhält. "Dabei dachten wir, Nationalismen seien endgültig überwunden." Auch Politologen müssen jetzt einige ihrer Denkmuster noch einmal überprüfen und sich ganz neuen Thesen stellen.

Neues Profil: Eugénia da Conceição-Heldt stemmt eine Herkulesaufgabe mit der Reform der Hochschule. Ihr Büro liegt im schicken Brienner-Forum, gleich hinterm Lenbachhaus. Für Kultur blieb bisher jedoch keine Zeit.

Eugénia da Conceição-Heldt stemmt eine Herkulesaufgabe mit der Reform der Hochschule. Ihr Büro liegt im schicken Brienner-Forum, gleich hinterm Lenbachhaus. Für Kultur blieb bisher jedoch keine Zeit.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Vieles, was wir bisher für selbstverständlich hielten, ist jetzt infrage gestellt", sagt sie. Die Handelsbeziehungen, die Übereinkunft auf die Verteidigung der Werte von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in Europa. Auch, dass es mit dem Fortschritt und Wohlstand in der westlichen Welt immer so weiter geht.

Eines steht fest: Technologische Entwicklungen sind - siehe Energiewende, Gentechnik oder autonomes Fahren - ohne die Akzeptanz der Bürger immer schwieriger umzusetzen, sagt da Conceição-Heldt. "Freihandel war jahrzehntelang ein Mantra unter den Industrienationen, warum wird das plötzlich infrage gestellt?" Solche Fragen werden künftig an der HfP untersucht.

Dass die HfP jetzt zur TUM School of Governance gehört, deren Dekanin da Conceição-Heldt in Personalunion ist und die die Wechselbeziehungen zwischen Politik, Wirtschaft, Technik und Gesellschaft erforscht, ist also nicht nur räumlich erkennbar - im Brienner Forum gibt es Seminarräume mit Hightech-Ausstattung, aber für Vorlesungen müssen die Studenten ins Stammhaus der TUM in die Arcisstraße gehen. Es ist vor allem am Lehrplan abzulesen. Die Studenten sollen "technikaffin" sein und sich, nachdem ihnen ein politikwissenschaftliches Grundgerüst vermittelt wurde, auf ein bestimmtes Technikfeld aus dem breiten Angebot der TUM spezialisieren. Sie werden Praktika machen bei internationalen Organisationen oder bei Partnern wie der Münchner Sicherheitskonferenz, der Acatech, bei BMW oder der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.

Statt um Platons Politeia geht es künftig also mehr um Big Data. Conceição-Heldt hat selbst den Lehrstuhl für European and Global Governance inne, allerdings lehrt sie derzeit noch nicht, sondern kümmert sich um die Struktur der Hochschule. Ihre sechs Professorenkollegen, darunter zwei Frauen, befassen sich mit Themen wie Soziale Medien und Daten-Konzentration, Künstliche Intelligenz oder Medizintechnik, maschinelles Lernen oder Klima-, Energie- und Umweltpolitik.

Alles ganz aktuelle Themen also, "und höchst politische Phänomene", sagt da Conceição-Heldt. Eine ihrer Kolleginnen berät Angela Merkel in Energiefragen, etwa der Suche nach einem Atommüll-Endlager. Ein anderer Kollege ist Informatiker und Spezialist für Social Media und Big Data, er analysiert Phänomene wie Fake News und Social Bots, also automatisch generierte und verbreitete Inhalte im Internet. Die meisten ihrer Kollegen haben langjährige Erfahrungen in den USA. Dass Trump Präsident wird, haben aber auch sie nicht vorhergesehen. "Diese Wahl wird unsere Welt verändern", sagt da Conceição-Heldt.

Neue Ausrichtung

Die Hochschule für Politik ist eine eigenständige Institution, gegründet nach dem Zweiten Weltkrieg zur Demokratieerziehung von künftigen Führungskräften. Sie war bis 2014 lose mit der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) verbunden. Als es mit der LMU zum Konflikt kam, ergriff TUM-Präsident Wolfgang Herrmann die Chance, das Institut an seine Universität zu holen. Der Bayerische Landtag stimmte zu und stattete die Hochschule großzügig mit sieben Professuren aus. In ihrer neuen Ausrichtung auf das Verhältnis von Politik und Technik ist die Hochschule einzigartig. Studenten und Dozenten von TUM und HfP tauschen sich aus. Die alten Diplomstudiengänge laufen aus, die ersten 80 Bachelorstudenten, die per Eignungstest ausgewählt wurden, haben ihr Studium begonnen. Sie können in Voll- oder Teilzeit, also auch berufsbegleitend, studieren. Im Wintersemester sollen Masterstudien folgen. mse

Wie sich die Welt im Kleinen verändert, hat die Wissenschaftlerin, die neben dem portugiesischen auch den deutschen Pass hat, während ihrer vier Jahre in Dresden gespürt. Dort hatte sie den Lehrstuhl für Internationale Politik an der Technischen Universität inne. "Dresden ist eine wunderschöne Stadt", sagt sie, dennoch sei sie froh gewesen, als sie im vergangenen Sommer weggehen konnte. "Dass Pegida jeden Montag die Innenstadt lahm legt, war schwer auszuhalten. Dass die schweigende Mehrheit zuschaut und untätig bleibt, noch weniger."

Das Jahr davor, 2015, war sie für einen Forschungsaufenthalt in Harvard. Im Sommer, als die Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Angela Merkel sei an der Universität in Harvard als Heldin gefeiert worden. "Und es ist doch klar: Natürlich schaffen wir das", sagt die Politologin. Der Fehler sei gewesen, den Bürgern nicht zu erklären, "wie wir das schaffen". Politik und Medien hätten da noch einiges nachzuholen. Andererseits gehe es auch darum, "den neuen Bürgern unsere europäischen Werte klar zu machen. Da darf man nicht naiv sein". Und Deutschland sei doch längst ein Einwanderungsland.

Wo ist das besser abzulesen, als an einer Universität, an der Menschen aus allen möglichen Nationen gemeinsam forschen. "Ich fühle mich als Weltbürgerin", sagt da Conceição-Heldt, "aber mein Lebenslauf ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie viel sich in Europa in den vergangenen Jahren verbessert hat." Nach dem Abitur hatte sie drei Jahre in Lausanne in einem Hotel gearbeitet. Dort lernte sie ihren deutschen Mann kennen und beschloss, zum Studium nach Berlin zu gehen. Doch damals wurde ihr Abitur noch nicht anerkennt, "das hat mich fast zwei Jahre gekostet, ich musste nach Lissabon zurück und mich dort an der Uni einschreiben, um in Deutschland zum Studium zugelassen zu werden". Heute gibt es Erasmus-Programme und binationale Studiengänge.

Heute kann sie auch ganz entspannt zwischen ihrer alten und ihrer neuen Heimat pendeln. Mehrmals im Jahr fliegt sie, wenn auch nur kurz, nach Portugal, besucht Familie und Freunde, geht am Strand laufen. Dass dieses friedliche, freie Europa Bestand hat, das wünscht sie sich. "Dafür müssen wir kämpfen."

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