Süddeutsche Zeitung

Kunst und Design:Blick in die Zukunft, mitten in der Altstadt

Vor 20 Jahren wurde das Neue Museum Nürnberg eröffnet - Eva Kraus hat das Haus seit 2014 geleitet und verlässt es zum 1. August

Von Sabine Reithmaier, Nürnberg

Ihre letzten Monate in Nürnberg hat sich Eva Kraus anders vorgestellt. Eineinhalb Jahre haben die Museumschefin und ihr Team an dem fabelhaften Programm gefeilt, mit dem das Neue Museum Nürnberg sein 20-jähriges Bestehen feiern wollte. Dann kam das Virus und verschob sämtliche Eröffnungstermine in eine unbestimmte Zukunft. Die Arbeit an den Ausstellungen stoppte es freilich nicht. "Wir sind frohen Mutes, dass wir alle in diesem Sommer noch eröffnen", sagt Kraus.

Genau am 15. April vor 20 Jahren öffnete das Museum des Freistaats zum ersten Mal seine Pforten. Noch ohne jede Kunst und ohne jeden Designklassiker. Die Nürnberger sollten erst einmal die spektakuläre Architektur Volker Staabs genießen: die geschwungene Glasfassade, die für eine transparente Durchlässigkeit sorgt und die musealen Inhalte nach außen spiegelt. Oder die inzwischen für Selfies so gern genutzte Wendeltreppe. Nur folgerichtig, dass sich eine der zum Geburtstag geplanten Ausstellungen dem Büro Staab Architekten widmet. Mit dem siegreichen Wettbewerbsentwurf begann nicht nur die Geschichte des zeitgenössischen Kunstmuseums inmitten der Nürnberger Altstadt, sondern auch Staabs eigene Erfolgsstory. "Sein Erstlingswerk machte ihn mit einem Schlag berühmt", sagt Kraus.

Am meisten gefreut hatte sie sich allerdings auf "Mixed Zone". Eine Ausstellung, in der zum ersten Mal in der Geschichte des Hauses Kunst und Design unmittelbar nebeneinander ausgestellt werden. "Die Dinge sprechen für sich, die Frage, ist das Kunst oder Design, wird irrelevant." Neun thematische Schwerpunkte gliedern die Räume, es geht um so Gewichtiges wie "Existenz", "Perspektiven" "Ressourcen" "Territorien", aber auch um "Geometrien", "Referenzen" und "Körper".

Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt mit der Neuen Sammlung München, die seit den Anfängen des Hauses als Kooperationspartner für den Design-Part zuständig ist. In den ersten Jahren unter Gründungsdirektor Lucius Grisebach hielt man die Bereiche noch streng getrennt, zeigte unten Design, oben Kunst. Doch Angelika Nollert, die zweite Chefin und inzwischen Leiterin der Neuen Sammlung München, weichte diese strikte Trennung auf, bestand darauf, Kunst und Design nicht zu separieren. Aber erst ihre Nachfolgerin, Eva Kraus, löst nun diese Unterscheidung endgültig auf. Ein Experiment, räumt sie ein. "Aber wir sind eines der ganz wenigen Häuser, die die Trennung der Disziplinen nicht mehr verfolgen."

Kraus, 1971 in München geboren und seit 2014 Direktorin des Hauses, haben Grenzen noch nie aufgehalten. Sie sieht sich mehr als Regisseurin und Managerin im Ausstellungsbetrieb, weniger als forschende Wissenschaftlerin. Ihr sei es wichtig, Tanz, Theater, Musik, Design, Mode, Gaming im Programm abzubilden, sagt sie und schwärmt von ihren interdisziplinären Ausstellungen. "Ich stehe für Kooperationen und Vernetzung, habe vieles angeregt mit Sammlern und Institutionen." Mit dem Germanischen Nationalmuseum etwa, das der polnisch-britischen Künstlerin Goshka Macuga für ihre Arbeit "Before the Beginning and After the End" im Jahr 2016 Objekte zur Verfügung stellte. Wichtig auch die mehr als 1000 Angebote der Kunstvermittlung, die das Museum mit seinen 23 Mitarbeitern stemmt. "Unser Angebot hat sich exponentiell gesteigert, die Ressourcen, die wir haben, nutzen wir auch aus."

Logisch, dass auch die dritte Geburtstagsausstellung in Kraus' interdisziplinäres Konzept passt. "Was, wenn ...?", fragt die Schau, in der 30 internationale Künstler und Gestalter das Potenzial des Utopischen verhandeln, Positionen der Gegenwart in Dialog mit Referenzen der Sechziger- und Siebzigerjahre treten. "Da geht es darum, wie alternative Modelle in die Zukunft wirken, wie wir mit Robotik oder künstlicher Intelligenz leben." Aber eben nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht, sondern von Künstlern weitergedacht.

Das Haus steht auch für einen extrem lebendigen Wechsel in den Sammlungsräumen. Dem Gründungsdirektor standen knapp 2000 Werke zur Verfügung, die meisten aus der Internationalen Sammlung zeitgenössischer Kunst der Stadt Nürnberg. Inzwischen ist der Bestand dank Dauerleihgaben, Legaten und Schenkungen auf 4500 Objekte gewachsen. "Viele Sammler mit großen Konvoluten kommen gern zu uns, weil wir mit der Sammlung arbeiten und sie nicht im Depot landet." In Erinnerung geblieben ist die spektakuläre Gerhard-Richter-Ausstellung im Jahr 2014, die Werke aus der Sammlung Böckmann ermöglichten. Kraus ist glücklich, dass dieses Konvolut für weitere 20 Jahre im Museum bleibt. Damit verfügt das Haus über die drittgrößte Sammlung an Werken Richters weltweit. "Das ist eine Riesenchance für uns."

Überhaupt blickt Kraus positiv in die Zukunft. "Es wird sich durchsetzen, weil es einen guten Sammlungsbestand und eine ausgezeichnete Architektur hat und wegen der Nähe zum Bahnhof auch günstig liegt", sagt sie und hofft, dass Nürnberg 2025 Kulturhauptstadt Europas wird. Allein der Prozess der Bewerbung habe der zeitgenössischen Kunst viel gebracht, sagt sie. "In der Bevölkerung ist angekommen, dass man die Kreativen braucht, um eine Stadt voranzubringen." Und dass es nicht nur Dürer und die braune Vergangenheit gibt. Weshalb Kraus zusammen mit dem Bewerbungsbüro "Kulturhauptstadt Europas 2025" in einer Ausstellung zeigt, wie die Stadtentwicklung aus der Perspektive der Kreativwirtschaft aussehen könnte. Vielleicht darf die "Stadtmacherei" auch zum anvisierten Zeitpunkt (26. Juni) eröffnen. Im Juli kehrt auch der heiß geliebte "Hexagonal Water Pavilion" auf den Klarissenplatz zurück, eine begehbare Wasserinstallation des Künstlers Jeppe Hein.

Wenn alles normal gelaufen wäre, hätte Eva Kraus dieser Tage den 1,5-millionsten Besucher begrüßt. 70 000 kommen alljährlich, nicht schlecht für ein Haus, das ausschließlich zeitgenössische Kunst zeigt, keine klassische Moderne. Sie selbst verlässt Nürnberg zum 1. August und übernimmt als Intendantin die Bundeskunsthalle in Bonn. Noch hofft sie aber, bei der Wiedereröffnung des Museums als Chefin dabei zu sein. "Und wenn nicht, komme ich eben als Gast."

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Quelle:
SZ vom 15.04.2020
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