Neues Geschäftsmodell:Nachhilfe im Netz

Neues Geschäftsmodell: Die Gründer Massimo Cancellara (li.) und Alexander Liebisch bringen Schüler und Nachhilfelehrer im Internet zusammen.

Die Gründer Massimo Cancellara (li.) und Alexander Liebisch bringen Schüler und Nachhilfelehrer im Internet zusammen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ein Münchner Start-up will Schüler per Online-Unterricht besser machen - bisher ist das nur ein Nischenangebot

Von Jakob Wetzel

Der Anfang sei zäh gewesen, erzählt Massimo Cancellara. Reine Online-Nachhilfe sei einigen Eltern offenbar nicht ganz geheuer. "Wir haben Anfragen erhalten, ob wir auch Lehrer zu Schülern nach Hause schicken", sagt der 30-Jährige. Und das zu einem Zeitpunkt, als online noch wenig lief. Sie hätten sich aber trotzdem dagegen entschieden. "Lieber erst einmal ein paar Monate gar nichts verdienen, aber dafür unser Konzept umsetzen", sagt Cancellara. Und schon nach wenigen Wochen ging es bergauf.

Cancellara ist mittlerweile im Geschäft: Gemeinsam mit seiner Schwester Jessica Contento und seinem früheren Kommilitonen Alexander Liebisch leitet er "Easy Tutor", eine junge Firma, die Nachhilfe im Internet anbietet - und zwar ausschließlich im Internet. Die Firma setzt auf Einzelunterricht und eine zentrale Lernplattform. Schüler und Nachhilfelehrer sehen sich per Video-Chat und arbeiten gemeinsam an digitalen Arbeitsblättern. Seit Sommer 2017 ist das Start-up-Unternehmen aktiv. Jetzt ist es dabei, sich zu etablieren.

Cancellara und Liebisch haben sich an der Hochschule München kennengelernt; beide studierten Maschinenbau und beide gaben nebenher privat Nachhilfe, um sich ihr Studium zu finanzieren. Dabei habe es sie genervt, ständig unterwegs zu sein, erzählt Cancellara. Gerade in München seien die Wege ja oft weit. Daraus entstand die Idee. Und danach ging es schnell. Die beiden nahmen ihr Erspartes als Startkapital in die Hand. Im Oktober 2016 besprachen sie ihr erstes Konzept, im März stand der erste Prototyp einer Plattform. Parallel hat Liebisch noch seine Bachelor-Arbeit abgeschlossen. Im Sommer stieß Jessica Contento dazu, die Erfahrung im PR-Bereich hat, weil ihr Ehemann Profi-Fußballer ist. Nach etwa einem Monat fanden die ersten Schüler auf die Plattform. Und dann sei alles sehr gut gelaufen, sagen die Gründer. Nach einem Jahr zogen sie aus ihrem Büro in Trudering um in größere Räume nach Haar. Mittlerweile sei der jährliche Umsatz sechsstellig, sagt Cancellara, und die Firma wachse kontinuierlich.

Einfacher als gedacht sei etwa die Suche nach Lehrern gewesen, sagt Liebisch. "Wir haben anfangs gedacht, das wäre ein Problem." Im vergangenen Jahr aber hätten sie 2000 Bewerbungen erhalten, sie konnten sich die Lehrer aussuchen. Eine spezielle Ausbildung setzen sie nicht voraus, wichtig sei aber die fachliche Qualifikation, sagt Cancellara. Ihr erster Nachhilfelehrer, ein Informatiker, sei noch persönlich zum Vorstellungsgespräch gekommen; die anderen warben sie übers Internet an. Derzeit sind etwa 130 Nachhilfelehrer für "Easy Tutor" tätig, darunter verbeamtete Lehrer ebenso wie Studenten ab dem dritten Semester. Sie wohnen in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich, in Neuseeland, in Frankreich, in Brasilien oder auch in Mexiko, der Online-Unterricht macht's möglich. Unterrichtet werden zurzeit etwa 600 Schüler pro Woche, sie leben in ganz Deutschland. Manche brauchen Hilfe, um nicht durchzufallen, andere wollen einfach ihre guten Noten halten. Ganz vorne in der Nachfrage steht Mathematik, gefolgt von diversen Fremdsprachen. Die unterschiedlichen Lehrpläne seien dabei kein Problem, sagt Cancellara. Schüler und Tutor legten die Lernziele individuell fest.

Online-Nachhilfe ist eine zwar wachsende, aber noch kleine Nische. Ihr großer Vorteil sei, dass man leichter gute Lehrer finde, weil die nicht unbedingt in der Nähe der Schüler wohnen müssen, sagt Cornelia Sussieck, die Vorsitzende des Bundesverbands der Nachhilfe- und Nachmittagsschulen. Zudem spare Online-Nachhilfe Zeit und sei flexibel. Doch sie habe auch Nachteile. Für Schüler mit grundlegenden Verständnisproblemen oder etwa mit Dyskalkulie sei ein Lehrer vor Ort, der emotional gut auf sie eingehen könne, besser. Die zwei großen überregionalen Institute, die Schülerhilfe und der Studienkreis, haben zwar ebenfalls Online-Kurse im Angebot, legen aber den Schwerpunkt weiterhin auf die Nachhilfe vor Ort. Etwa ein Drittel ihrer 125 000 Schüler würden an Online-Kursen teilnehmen, heißt es etwa von der Schülerhilfe. Der Königsweg sei jedoch eine Kombination aus einem Lehrer im Institut und ergänzender Hilfe über das Internet. Ähnlich sieht es der Studienkreis: Online-Nachhilfe wachse und sei eine Alternative, wenn es etwa für ein Fach vor Ort keinen Lehrer gebe, sagt ein Sprecher. "Aber der Bärenanteil entfällt auf die Nachhilfe in Gruppen im Institut. Das wird überwiegend nachgefragt, und das wird auch so bleiben."

Gemessen an dieser Konkurrenz ist "Easy Tutor" freilich sehr klein. Genaue Zahlen sind schwer zu erheben. Die großen Institute geben ihre Umsatzzahlen nicht bekannt, und der Markt für Nachhilfe ist generell intransparent. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2016 investieren Eltern bundesweit etwa eine Milliarde Euro im Jahr in Nachhilfe-Unterricht. Der größte Teil davon landet aber auf dem Schwarzmarkt.

Was diesen so attraktiv mache, sei vor allem die Flexibilität, glaubt Cancellara. An dieser hätten sie sich orientiert. Er, Contento und Liebisch bieten keine fixen Verträge an, sondern Stundenkontingente. Die Schüler haben zwei Jahre Zeit, ihre gebuchten Stunden zu nehmen, und dabei können sie nach Bedarf Lehrer und Fächer wechseln. "Dazu wollten wir, dass sich die Eltern darauf verlassen können, dass die Lehrer kompetent sind", sagt Cancellara. Das zusammen gehe nur online. Und das Medium habe weitere Vorteile. Gehaltene Nachhilfestunden würden etwa in einer Cloud gespeichert und könnten dadurch immer wieder durchgegangen werden.

Irgendwann einmal können sich die drei Gründer vorstellen, mit ihrer Idee ins Ausland zu expandieren. Doch zuerst wollen sie richtig Fuß fassen. Er wünsche sich, dass die Skepsis weiter schwinde, sagt Cancellara. Und dass die Leute bei Nachhilfe auch ans Internet denken.

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