Neues Förderprogramm:Mit Job zurück ins Leben

Lesezeit: 4 min

Ihren Platz im Berufsleben haben nach langer Suche Monika Roith (l.) als Servicekraft und Nazia M. als Köchin im Café Treffpunkt gefunden. (Foto: Stephan Rumpf)

Zu alt, zu schlechtes Deutsch, psychische und gesundheitliche Probleme: Viele Menschen haben kaum Chancen auf reguläre Beschäftigung. Der dritte Arbeitsmarkt ermöglicht ihnen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden

Von Elisabeth Kagermeier

Mit schnellen Bewegungen wendet Nazia M. das Schnitzel und die Bratkartoffeln in der Pfanne. Die gebürtige Afghanin isst zwar selbst gar kein Schweinefleisch, aber dennoch wird sie hier im Stadtteilcafé Treffpunkt im Hasenbergl die "Schnitzelfrau" genannt - denn keiner brät die Schnitzel so gut wie sie, sagen die Kollegen. Sie trägt den Teller mit Schnitzel und Bratkartoffeln aus der Küche, Servicekraft Monika Roith nimmt ihr das Essen ab und bringt es zusammen mit dem Tagesgericht - Blumenkohl mit Kartoffeln und Ei - zu zwei Männern an einem hellen Holztisch. Monika Roith scherzt mit den Gästen, mit ihrer rauen, aber herzlichen Art kommt sie gut an. Wenn sie einmal fehlt, wird sie gleich vermisst, erzählt die Treffpunkt-Leiterin Monika Schuhmann. Das Stadtteilcafé ist beliebt, allein schon wegen der günstigen Preise. Für manche ist das Café wie ein zweites Wohnzimmer.

Nazia M. und Monika Roith gehören zu den ersten Langzeitarbeitslosen in München, die Stellen im neuen sogenannten dritten Arbeitsmarkt bekommen haben. Beide kamen ursprünglich über Ein-Euro-Jobs zum Stadtteilcafé, das als soziale Einrichtung hauptsächlich Langzeitarbeitslose beschäftigt. Doch diese Arbeitsgelegenheiten im zweiten Arbeitsmarkt konnten rechtlich nur bis maximal zwei Jahre verlängert werden, da sie nur eine vorübergehende Maßnahme sein sollen, deren Ziel die Integration der Langzeitarbeitslosen in den regulären, "ersten" Arbeitsmarkt ist. Deswegen mussten Nazia M. und Monika Roith ihre Arbeit bei dem Stadtteilcafé nach zwei Jahren aufgeben, obwohl sie sehr gerne dort tätig waren. Im ersten Arbeitsmarkt kamen sie nicht unter.

Rund 10 000 Langzeitarbeitslose betreut das Jobcenter München derzeit, das sind rund acht Prozent weniger als im Vorjahr. Von den Beschäftigten in Ein-Euro-Jobs schaffen laut dem Referat für Arbeit und Wirtschaft der Stadt München rund 30 Prozent den Schritt in den regulären Arbeitsmarkt. Bei den sozialen Betrieben, die häufig Langzeitarbeitslose in schwierigen Lebenssituationen und persönlichen Problemen beschäftigen, sind es sogar nur 14 Prozent, die später in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden können. Alle anderen bleiben weiterhin arbeitslos.

Für Nazia M. bedeutete dies, in die "Traurigkeit und Einsamkeit zu Hause" zurückzukehren. "Jahrelang habe ich die kranke Schwiegermutter gepflegt, mein Mann ist arbeiten gegangen", erzählt die 61-Jährige in gebrochenem Deutsch. Insgesamt 33 Jahre ist sie mittlerweile in Deutschland, den Großteil davon hat sie zu Hause verbracht. Trotz mehrerer Versuche hat sie die deutsche Sprache nie richtig gelernt. Über das Stadtteilcafé bekommt sie nun wöchentlich Einzelunterricht. Sie erinnert sich lachend an Fehler aus den ersten Tagen. So sollte sie einmal eine Gurke in die Küche bringen. Stattdessen holt sie eine Kollegin mit dem Namen Gorsky.

Auch für Monika Roith war die erneute Beschäftigungslosigkeit wie ein Schlag ins Gesicht. "Ich hab aus Langeweile wieder unzählige Puzzles gemacht, meine Wohnung renoviert, mich einfach beschäftigt ", erzählt die 58-Jährige. Hauptsache war, nicht in Lethargie oder Depression abzurutschen. Roith, die im Hasenbergl geboren und aufgewachsen ist, hat sich in ihrem Leben durch sämtliche Gelegenheitsjobs gehangelt, allerdings nie eine Ausbildung oder einen Schulabschluss gemacht. Gefallen hat es ihr nirgendwo, "entweder ich bin gegangen oder gegangen worden", sagt sie. Bevor sie zum Stadtteilcafé kam, war sie acht Jahre lang arbeitslos. "Am Anfang hab ich mich noch regelmäßig beworben, irgendwann aber aufgegeben", sagt sie.

Wer immer wieder abgelehnt wird, hat schnell mit mangelndem Selbstvertrauen zu kämpfen, weiß Felix Magin vom Jobcenter München. "Durch die lange Arbeitslosigkeit kommen mehrere Probleme zusammen", sagt er. Das könnten gesundheitliche Einschränkungen oder soziale Schwierigkeiten sein. Aufgrund ihrer persönlichen Probleme sind viele Langzeitarbeitslose den Ansprüchen des regulären Arbeitsmarktes nicht gewachsen. Sie kämpfen mit ganz grundsätzlichen Anforderungen des Arbeitslebens wie Pünktlichkeit oder Zuverlässigkeit, vieles muss erst neu gelernt werden. "Manche bräuchten einfach noch mehr Zeit", erklärt Magin, eine Struktur, die Halt gibt. Vor allem für Ältere wie Nazia M. und Monika Roith gab es auch langfristig kaum Rückkehrchancen in die Arbeitswelt und bis vor kurzem keine weiteren gesetzlichen Fördermöglichkeiten.

Weil der Bund hier nicht tätig wurde, reagierte München mit einem eigenen Programm. Im Sommer 2015 beschloss der Stadtrat die Einführung des dritten Arbeitsmarktes, seit dem 1. August 2016 gibt es ihn nun in der Praxis. Vorgesehen sind insgesamt 200 Stellen. "Deutschlandweit ist diese Einführung des dritten Arbeitsmarktes bisher einmalig", sagt Wolfgang Nickl vom Referat für Arbeit und Wirtschaft der Stadt München. Gedacht ist das Programm vor allem für Langzeitarbeitslose über 55 mit gesundheitlichen und psychischen Problemen.

Drei Stunden am Tag arbeiten Nazia M. und Monika Roith nun seit Anfang August für einen Stundenlohn von zwei Euro plus 200 Euro Pauschale im Monat. Es geht nicht in erster Linie um Geld, sondern vor allem um die Teilhabe am Arbeits- und Sozialleben, eine tägliche Aufgabe. Sie konnten nun langfristig zu ihrer Beschäftigung im Stadtteilcafé zurückkehren. Für Roith war das schon als Ein-Euro-Jobberin die erste Arbeitsstelle, bei der es ihr wirklich gefällt, "da wird auf mich geschaut und ich kann mit Menschen in Kontakt sein". Nun haben beide Verträge für drei Jahre unterschrieben, Verlängerungen sind möglich.

Das gibt Sicherheit: "Für die Frauen und auch für uns in der Leitung ist der dritte Arbeitsmarkt ein wichtiger Schritt und eine große Erleichterung, weil es den beiden einfach besser geht", erklärt Leiterin Schuhmann. Das ständige Bangen um die halbjährliche Verlängerung der Ein-Euro-Jobs sei für viele psychisch außerordentlich strapaziös. Stephanie Jung, Sozialpädagogin der Einrichtung, fallen auf Anhieb mehrere Mitarbeiter ein, die auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben. "Der Bedarf wird in den letzten Jahren immer größer", berichtet Jung. Etwa seit acht Jahren habe die Zahl der Langzeitarbeitslosen mit psychischen Problemen bei ihnen deutlich zugenommen. Das liege wohl daran, dass man sich früher zu wenig um diese Menschen gekümmert habe, während die meisten Arbeitslosen ohne psychische oder körperliche Beeinträchtigungen wieder in den regulären Arbeitsmarkt integriert wurden.

Nazia M. fühlt sich wohl in ihrer Rolle als "Schnitzelfrau", bekommt sie doch so erstmals Anerkennung. Geschätzt wird sie aber auch für ihre afghanischen Kochkünste: Ab und zu darf Nazia nämlich statt Schnitzel und Bratkartoffeln auch ein Lammfleischgericht und Reis zubereiten. Wenn dann Nazia M. wie gewohnt am frühen Nachmittag ihre weiße Schürze und das Haarnetz abnimmt, freut sie sich schon darauf, dass sie mit ihrer Kochkunst das nächste Mal den Gästen im Tagescafé ein Stück ihrer alten Heimat näherbringen kann: Beim wöchentlichen internationalen Tag bereiten die Köchinnen abwechselnd Gerichte aus ihren Herkunftsländern zu. Das freut nicht nur die Köchinnen, sondern auch die Gäste, und so profitieren alle vom dritten Arbeitsmarkt.

© SZ vom 30.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: