Neues Angebot:Hilfe für Kranke und ihr Umfeld

In der Nymphenburger Straße eröffnet die Marion-von-Tessin-Stiftung an diesem Montag die bayernweit erste Tagesklinik für Menschen mit Gedächtnisstörung und Demenzerkrankung. Ein multiprofessionelles Team kümmert sich um 20 Patienten, die in der Regel vier Wochen bleiben

Von Inga Rahmsdorf

Es begann schleichend. Zunächst waren es Kleinigkeiten, die Jochen Becker vergaß, dann immer entscheidendere Dinge, schließlich erkannte er seine Frau nicht mehr. Maria Becker fühlt sich immer überforderter mit der Demenzerkrankung ihres Mannes. Er reagiert plötzlich aggressiv, wandert unruhig umher und schreit nachts. Doch sie hat Angst, dass ihr Mann das Krankenhaus nie mehr verlassen wird, wenn er dort eingewiesen wird.

Für Menschen wie Jochen Becker gibt es von diesem Montag an eine neue Tagesklinik in München. Die medizinische Einrichtung in der Nymphenburger Straße 45 ist bayernweit die erste Tagesklinik für Menschen mit Gedächtnisstörung und Demenzerkrankung. Es gibt zwar bereits geriatrische Tageskliniken, wie beispielsweise am städtischen Klinikum München, sie richten sich aber an alle akut erkrankten älteren Menschen, und nicht speziell nur an Demenzkranke. Betrieben wird die neue Tagesklinik als gemeinnützige Gesellschaft von der Marion von Tessin-Stiftung, und sie ist Teil eines größeren Konzeptes, das sich Memory-Zentrum nennt.

Tagesklinik für Demenzkranke, Nymphenburgerstraße 45

Das Projekt haben (von links) die Psychologin Bianka Burger, die Ärztin Judith Matz und der Psychiater Norbert Müller entwickelt.

(Foto: Florian Peljak)

Jochen Becker und seine Frau sind ein fiktives Beispiel, sie stehen aber dafür, wie es vielen Familien ergeht. Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben etwa 1,6 Millionen Demenzkranke in Deutschland. Jedes Jahr treten etwa 300 000 Neuerkrankungen auf. Die Krankheit verändert häufig nicht nur das Leben des Betroffenen, sondern auch den Alltag seiner Familien oder Pflegenden. In der neuen Tagesklinik steht daher nicht nur der betroffene Patient im Mittelpunkt, sondern auch sein Umfeld, und er wohnt nachts und am Wochenende weiter zu Hause oder im Pflegeheim. Die Patienten werden täglich mit einem Taxi geholt und gebracht. "Unser Therapiekonzept bietet eine Alternative zu einem vollstationären Krankenhausaufenthalt", sagt Norbert Müller, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er hat als stellvertretender Direktor an der psychiatrischen Uni-Klinik der LMU gearbeitet und leitet nun die neue Tagesklinik. Müller hat das Projekt seit etwa zwei Jahren gemeinsam mit der Ärztin Judith Matz und der Psychologin Bianka Burger entwickelt.

Tagesklinik für Demenzkranke, Nymphenburgerstraße 45

Hell sind die Räume in der alten Villa, wie etwa die Küche und das Musikzimmer.

(Foto: Florian Peljak)

Untergebracht ist die neue Tagesklinik in einer herrschaftlichen Villa. Die Räume sind groß und hell, mit hohen Decken. Im Foyer des Erdgeschosses steht ein Empfangstresen. Während der Öffnungszeiten ist der Empfang immer besetzt, so dass keiner der Patienten unbemerkt das Haus verlassen kann. "Die Tür ist offen, wir sind keine geschlossene Einrichtung", sagt Burger, aber eine Fürsorgepflicht haben sie schon. Es gibt eine Küche mit großem Holztisch, an dem die Patienten gemeinsam frühstücken und zu Mittag essen, ein Musikzimmer mit Klavier, ein Zimmer für Mal- und Kunsttherapien, zwei Ruheräume, medizinische Untersuchungsräume mit technischen Geräten wie einem EKG, und sogar einen Therapiehund. 20 Patienten kann die Klinik aufnehmen, in der Regel sollen sie etwa vier Wochen bleiben. Finanziell hat die Marion von Tessin-Stiftung das Projekt erst möglich gemacht. Das sei eine tolle Chance, sagt Müller. Zudem sei es ein großer Vorteil, dass die Tagesklinik keine Gewinne erzielen müsse, weil sie gemeinnützig ist. Langfristig soll sie sich aber selbst tragen.

Tagesklinik für Demenzkranke, Nymphenburgerstraße 45

Von diesem Montag an gibt es eine neue Tagesklinik in München. Die medizinische Einrichtung in der Nymphenburger Straße 45 ist bayernweit die erste Tagesklinik für Menschen mit Gedächtnisstörung und Demenzerkrankung.

(Foto: Florian Peljak)

Die Einrichtung steht jedem offen, der von einem niedergelassenen Arzt dorthin eingewiesen wird, nicht nur privat, sondern auch gesetzlich krankenversicherten Patienten. Das ist der Hartnäckigkeit von Müller und seinen Kolleginnen Burger und Matz zu verdanken. Sie haben die gesetzlichen Krankenkassen davon überzeugt, ihr Therapiekonzept in der Tagesklinik anzuerkennen. Wissenschaftlich begleitet wird das ganze Projekt von der Universität Mainz.

Burger und Matz bieten zudem Seminare beispielsweise in Pflegeheimen an, um die Mitarbeiter im Umgang mit Demenzerkrankten zu schulen. Wenn ein Patient nicht mehr kommunizieren kann und sich nicht verstanden fühlt, könne es zu Eskalationen, zu Unruhe und aggressivem Verhalten kommen, sagt Matz. Damit seien häufig Mitarbeiter in Pflegeheimen konfrontiert und oft überfordert. Gerade auch, weil sie häufig unter Zeitdruck stehen.

Die Ansicht, dass man bei Demenzerkrankten sowieso nicht mehr viel therapieren könne, außer mit Medikamenten, sei leider sehr verbreitet, sagt Burger. "Das stimmt aber nicht." Mit ihrem Konzept wollen sie einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen. Müller spricht von Ressourcenstärkung. Zu dem multiprofessionellen Team in der Tagesklinik gehören unter anderem Ärzte, Psychologen, Sozialpädagogen, Ergo-, Physio- und Kunsttherapeuten. Gemeinsam wollen sie nicht nur den medizinischen Bedarf diagnostizieren, sondern auch schauen, welche Bedürfnisse der Patient hat, was er in seinem Leben gemacht hat? Was ist ihm noch wichtig? Auf was reagiert er positiv? "Als erstes fallen häufig die Defizite ins Auge", sagt Matz, also all das, was die Person einst konnte und nun nicht mehr kann. Dabei werde aber übersehen, welche Ressourcen noch oder sogar neu vorhanden sind. Ein wichtiges Anliegen ist es Müller auch, dass die Patienten nicht vier Wochen lang gut betreut werden und danach wieder zu Hause oder im Pflegeheim alles so weitergeht, wie vor dem Klinikaufenthalt. Es gehe auch darum, gemeinsam mit den Angehörigen zu klären, wie die Situation für den Patienten und sein Umfeld verbessert werden kann.

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