Süddeutsche Zeitung

Neuer Späti im Gärtnerplatzviertel:München versucht sich als Großstadt

In Berlin, Hamburg oder Köln werden sie umdenken müssen: München entdeckt das Konzept des Spätis und wird so ein wenig mehr Großstadt. Im Gärtnerplatzviertel hat ein Laden eröffnet, der Bier bis in die Nacht verkauft - zumindest am Wochenende.

Von Thierry Backes

Wenn die Menschen in Berlin, Hamburg oder Köln einen Beleg für die These brauchen, dass München keine Großstadt ist und auch nie eine werden wird, führen sie gerne folgenden Punkt aus: "Sag' mal", heißt es dann, "wenn München so großstädtisch ist, warum kann man nach 20 Uhr nirgends mehr Bier kaufen?"

Nun wäre es leicht, dies zu widerlegen: Es gibt Tankstellen und Dönerbuden, den Kiosk an der Reichenbachbrücke oder illustre Gestalten wie Mama Afrika, die am späten Abend über den Gärtnerplatz schleichen und Augustiner unter der Hand anbieten. Doch was in München lange Zeit gefehlt hat, ist das, was sie in Berlin Späti nennen. Ein Späti, Kurzform für Spätkauf, besteht im Wesentlichen aus einem (oder mehreren) gut gefüllten Kühlschränken, einem Tabakregal und einem Tresen mit Schokoriegeln und Chips. Vor allem aber hat ein Späti auch dann noch offen, wenn die Lichter im Supermarkt nicht mehr brennen, der Sonnenuntergang aber zu einem Bierchen an der Isar einlädt.

München ist in den vergangenen Monaten liberaler geworden, das zeigt sich etwa an der neuen Freischankflächenregelung, die es Wirten erlaubt, ihre Gäste am Wochenende bis Mitternacht draußen zu bedienen. Oder daran, dass es nun eben doch möglich ist, nach 20 Uhr eine einfache Flasche Bier in einem Laden zu kaufen. Denn das Geschäftsmodell Späti breitet sich langsam in der Stadt aus. Im Westend zum Beispiel hat es sich an einigen Ecken etabliert, nun ist es auch mitten im Gärtnerplatzviertel angekommen.

Der Laden gilt offiziell als "erlaubnisfreie Gaststätte"

Vor vier Wochen haben Franz Huemer und Helmut Neuhauser an der Baaderstraße einen Markt namens "Szenedrinks" eröffnet, der sich so auch ganz gut in Kreuzberg machen würde. Die 0,5-Liter-Flasche Augustiner oder Tegernseer kostet hier nur 1,60 Euro (inklusive Pfand), sie ist damit wesentlich günstiger als etwa beim Kiosk an der Reichenbachbrücke. Was den Laden aber ausmacht, ist die Bandbreite der anderen Getränke, die in den Regalen und Kühlschränken stehen: ausgewählte Craft-Biere aus der Giesinger-Brauerei, von Camba Bavaria oder aus der Crew-Ale-Werkstatt und Limonaden von Club Mate, Macario oder Fever Tree.

"Die Leute sind geflasht, wenn sie sehen, was wir hier alles verkaufen", sagt Huemer. Er und sein Geschäftspartner machen ihren Umsatz vor allem am Wochenende, wenn sie bis 2.30 Uhr, manchmal auch bis drei Uhr oder länger am Tresen stehen. Theoretisch dürften die beiden sogar 23 Stunden am Tag Bier verkaufen. Ihr Laden gilt offiziell als "erlaubnisfreie Gaststätte".

Das heißt, vereinfacht gesagt, dass sie zwar Alkohol (in Flaschen) verkaufen dürfen, nicht aber ausschenken. Auch ist es Huemer und Neuhauser erlaubt, Gästen einen Snack zuzubereiten oder einen Kaffee, sie dürfen tagsüber zudem Wein und Schnaps in ihren Regalen stehen haben, von 20 Uhr an aber nur noch Bonbons, Zigaretten, Bier und Nichtalkoholisches verkaufen. "Bier", scherzt Huemer, "gilt in Bayern eben nicht als Alkohol."

Unter der Woche sperren die beiden ihr Geschäft übrigens schon gegen zehn, halb elf Uhr zu, nicht zuletzt, weil die Kundschaft noch fehlt. "Der Kiosk an der Reichenbachbrücke deckt den Bedarf im Zweifelsfall ab", sagt Huemer. Und da sind ja noch die Nachbarn, denen er einen so gut wie durchgängig geöffneten Laden nicht zumuten will. So weit ist München dann eben doch noch nicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1976822
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.05.2014/tba
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.