Zweimal hat der Stadtrat Nein gesagt: Die sogenannten Stolpersteine, zehn mal zehn Zentimeter große Plaketten mit den Namen und Lebensdaten von Nazi-Opfern, dürfen in München nicht auf öffentlichem Grund verlegt werden. Es gibt sie dennoch: 58 dieser vom Kölner Künstler Gunter Demnig geschaffenen Mahnmale hat eine Initiative um Terry Swartzberg in München bisher verlegen lassen, auf privatem Grund.
Und seit Ende Juli gibt es das offizielle Münchner Alternativprojekt: Stelen und Tafeln an den ehemaligen Wohnorten von acht Münchnerinnen und Münchnern, die der verbrecherischen Ideologie der Nazis zum Opfer fielen. Einer Gruppe um den ehemaligen FDP-Stadtrat und Bundestagsabgeordneten Hildebrecht Braun ist das nicht genug. Braun und seine Mitstreiter haben am Montag ein Bürgerbegehren gestartet. Damit wollen sie die Stadt zwingen, die Verlegung von Stolpersteinen auf öffentlichem Grund künftig zu erlauben - alternativ zu Erinnerungsstelen und Gedenkplaketten.
Die Initiative richte sich "gegen niemanden", das zu betonen ist Braun wichtig. Nicht gegen die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, die seit Jahren mit Nachdruck für eine Form des Gedenkens "auf Augenhöhe" eingetreten ist und die Stolpersteine entschieden ablehnt. Und auch nicht gegen die Initiative "Stolpersteine für München", die sich für den Weg der Privatverlegungen entschieden hat, was nach Einschätzung der Aktivisten zwar sehr viel Überzeugungsarbeit und Recherche erfordere, sich aber jetzt - mit elf weiteren Plätzen, an denen im November Stolpersteine verlegt werden sollen - auszahle. Braun ist anderer Ansicht: "Das reicht uns bei Weitem nicht", sagt er. Die "Massenhaftigkeit der Morde" müsse sichtbar gemacht werden: "Die Nachbarn haben weggeschaut, die Kirchen haben weggeschaut."
Zur Unterstützung hat sich der Bundestagsabgeordnete einen prominenten Vertreter des deutsch-israelischen Dialogs geholt: den ehemaligen Botschafter Avi Primor. Der 83-Jährige wird am Dienstag auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung einen Vortrag über die Situation in Israel im Gasteig halten. Jetzt sitzt er neben Braun und dessen Vorstandskollegen in den Münchner-Kindl-Stuben und soll auf Journalistenfragen Auskunft darüber geben, ob die Diskussion über die Stolpersteine die jüdische Gemeinschaft spaltet und ob er bedauert, dass Stolpersteine in München nicht auf Gehwegen und Plätzen verlegt werden dürfen.
Primor ist Diplomat, noch immer. "Wir haben unsere eigene Art des Gedenkens", sagt er. Die Stolpersteine seien keine jüdische Tradition. Aber sie entsprächen europäischer Tradition und seien ein gutes Mittel, "die Jugend zu erziehen". Die Frage, wie Deutschland sich seiner Vergangenheit stelle, beschäftige die Menschen in Israel sehr. Deshalb "ehre" man die Stolpersteine sehr - das sei eine "Pionierarbeit, die zu bewundern ist".
Zwei bereits fertige Stolpersteine liegen in der Pressekonferenz auf dem Tisch. Sie sollen an die Weiße-Rose-Mitglieder Hans Scholl und Kurt Huber erinnern. "Wir werden es durchsetzen", sagt Braun. Er und seine Mitstreiter rechnen damit, dass sie bis kommendes Jahr die rund 35 000 nötigen Unterschriften beisammen haben. Und dass der Stadtrat sich dem Anliegen dann anschließt. Viele Stadträte seien nur wegen des auf sie ausgeübten "massiven Drucks" derzeit noch gegen die Stolpersteine, sagt Braun.
Und was soll genau passieren, falls das Bürgerbegehren und der anschließende Bürgerentscheid erfolgreich sind? "Das soll die Stadt klären", sagt der Ex-Stadtrat. "Das ist nicht unsere Aufgabe - wir wollen nur die Voraussetzungen schaffen." Im Text zum Bürgerbegehren heißt es lediglich, "dass auch in München neben anderen Formen des Gedenkens an die Opfer des NS-Regimes Stolpersteine auf öffentlichem Grund verlegt werden".
Wer darüber entscheidet, welche Steine an welchen Orten und mit welchem Text verlegt werden - dazu macht der Text des Bürgerbegehrens keine Aussage. Auf Nachfrage versichert einer der Initiatoren, Ralph Deja, immerhin, die Vorgaben des Kulturreferats müssten der "Rahmen" sein: "Stolpersteine gegen den Willen von Angehörigen wird es nicht geben." Und wenn ein Angehöriger dagegen, alle anderen aber dafür sind? Das, räumt Braun ein, wäre "problematisch".