Neue Heimat:Wie kann Sonne einen solchen Hype auslösen?

Ausflügler im Englischen Garten

Der Englische Garten ist einer der beliebtesten Orte bei gutem Wetter.

(Foto: dpa)

Die Münchner zelebrieren den Sommer mit kurzen Hosen und Sonnenbrillen. Unser Autor aus Nigeria freut sich hingegen schon auf den Schnee.

Kolumne von Olaleye Akintola

Der Bayer ist wie ein Honigsauger-Vogel, er fliegt von Blüte zu Blüte, immer dorthin, wo die Sonne direkt auf den Nektar scheint. Die Bayern, sie flattern unaufhörlich, solange, bis sie einen Platz finden, wo heißes Licht auf weiße Haut scheint.

Vielen Bayern macht es nichts aus, wenn sie sich vom Winter verabschieden müssen, im Gegenteil: Man muss nur ein paar Stunden am Stachus verbringen, um zu sehen, wie sehr die Münchner die Sonne ihres Sommers zelebrieren. Statt sich vor den Strahlen zu schützen, tragen sie kurze Hosen und Röcke, man sieht mehr Haut als Stoff - kurze Gewänder kombiniert mit Designer-Sonnenbrillen. Wie ein Hobby-Astrologe beobachtet der Münchner den Himmel, stets darauf bedacht, im richtigen Winkel zur Sonne und ja nicht im Schatten zu stehen. Er verzieht den Mund, wenn sich Wolken dazwischen schieben. Und wenn die Sonne wieder lacht, grinst der Vogel zurück.

Die Menschen in meiner neuen Heimat sind wie verzaubert in diesen Wochen. Ich bewundere diese unschuldige Freude meiner bayerischen Brüder, wie sie in Heerscharen an die Isar pilgern und so lange dort bleiben, bis der letzte Sonnenstrahl hinter Bäumen verschwindet. Wie kann Sonne solch einen Hype auslösen? Es fühlt sich alles nach wie vor an wie eine optische Täuschung. Als wäre ich in eine Fata Morgana geraten.

Vielleicht bräuchte der Bayer mal einen Ortswechsel in den gnadenlosen Freiluft-Backofen Nigeria - vielleicht sollte er einmal die unnachgiebige Hitzepeitsche Westafrikas spüren. Er würde sehen, dass Sonne für viele Menschen gar keinen Genussfaktor hat, sondern für sie das pure Verderben verkörpert. Wenn sie blutrünstige Insekten anlockt, die einem den Körper aussaugen, und Kakerlaken, die das letzte Obst zerfressen. Wenn Speisen verkommen, Flüsse vertrocknen.

Es ist nicht so einfach, alles abzulegen, was man 30 Jahre lang gewohnt war. Wenn man als Kind eingeredet bekam, dass die Haut in der Sonne noch schwärzer wird und wie Kohle im Feuer verbrennt. Der nigerianische Schriftsteller Chinua Achebe sagte einmal: "Die Sonne scheint zuerst auf die Stehenden, und erst dann auf die, die knien." In Nigeria ist die Sonne der Feind, in Bayern dagegen wie eine Braut, die zu einem kommt, ohne dass man den Hals nach ihr recken muss. Hier gehen die Menschen campen, halten Feste und Spiele im Freien ab - der Bayer kehrt erst in sein Haus zurück, wenn der Herbst die kalten Tage bringt.

Die Hitzewelle hier weckt Erinnerungen an Nigeria, dort ist es stets heiß und trocken. Nur dass Bayerns Häuser seltener Klimaanlagen haben. Man mag vielleicht denken, dass ich dieses Wetter kenne und deswegen liebe, doch da läge man falsch. Schon jetzt freue ich mich darauf, wenn München weiß bedeckt ist. Der Winter ist zu meiner Saison geworden, er ist die natürliche Klimaanlage. Höchste Zeit, dass es wieder schneit. Höchste Zeit, dass die Kälte die Hitze verdrängt.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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