Neue Heimat:Warum Tanzen für die Integration in Bayern wichtig ist

Kocherlball in München

Ein Paar auf dem traditionellen Kocherlball in München

(Foto: picture alliance / dpa)

In Syrien trägt man zwar auch Trachten, dafür ist es tabu, eine Frau beim Tanzen zu berühren. Eine Tanzpartnerin unseres Kolumnisten bekam das schmerzlich zu spüren.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Zur Integration gehört, dass man vieles mit Einheimischen unternimmt. Zum Beispiel Tanzen. Ein Freund hatte Geburtstag und wir beschlossen, nach München zu fahren und in eine Disco zu gehen. Dort traf ich auf eine Welt, die ich noch nie gesehen hatte. Laute Musik, bunte unruhige Lichter, viele Menschen, die sich im wilden Rhythmus zusammen oder allein bewegten.

Es dauerte einige Momente, bis die Musik mich abholte. Dann wollte ich mittanzen, was aber gar nicht so einfach für mich war. Besonders ungewöhnlich war, dass die Männer und Frauen auf der Tanzfläche sich berührten und in den Arm nahmen. In Syrien darf man die Frau beim Tanzen nicht berühren. Man bewegt lediglich die Arme und Beine im Rhythmus der Musik. Wo ich herkomme, wird auch nicht einfach so am Wochenende getanzt, sondern nur auf Hochzeiten. Da sind die Menschen auch sehr fröhlich und lachen. Der Unterschied zu einer Disco: Bei einem syrischen Tanz kennen sich alle, die Frauen tragen alle bauchfrei und wackeln mit Hüften und Oberkörper. Das gefällt vielen syrischen Männern, muss aber auf Dauer unheimlich anstrengend sein.

Oberstes Gesetz beim syrischen Tanz ist jedoch: Berühren verboten. So habe ich zum Beispiel noch nie mit einer Frau getanzt. Als ich nun in der Disco war, wagte ich zum ersten Mal den Versuch. Eine Freundin aus unserer Geburtstagsgruppe hat mich aufgefordert. Dabei konzentrierte ich mich zuerst nur auf die Füße, dann auf die Arme; in dieser Situation fühlte ich mich total überfordert. Es war einfach zu viel auf einmal. Und so dauerte es einige Lieder, bis ich mich eingegroovt hatte. Mit der Zeit wurde ich mutiger und wagte mich gar hinauf auf die Bühne. Ich habe nicht besonders gut getanzt - aber ich fühlte mich befreit.

Die Disco habe ich recht souverän überstanden. Der nächste Schritt war eine Tanzveranstaltung im Freien. Zuerst dachte ich, das läuft ähnlich ab, doch da hatte ich mich getäuscht. Hier machten alle die gleichen Schritte. Es handelte sich um lateinamerikanische Tänze wie Samba. Da geht es zwar nicht so eng zu wie unter der Discokugel, dafür kann man sich aber auch nicht einfach im Rhythmus gehen lassen. Und so fühlte ich mich wie ein Musiker, der im Konzert falsche Töne spielt. Ein arabisches Sprichwort sagt: Die Musik spielt im Osten und der Tanz im Westen.

Bei einem dieser Tänze musste ich meine Tanzpartnerin im Arm halten. Plötzlich neigte sie sich nach hinten - offenbar in der Erwartung, dass ich sie festhalte. Leider hat sie meine Fähigkeiten überschätzt - und so landete sie auf dem Boden. Das tat mir sehr leid. Ich erklärte ihr sogleich mein Dilemma: Wenn ich in Syrien eine Frau festhalte, treffen einen böse Blicke von allen Seiten, wo ich herkomme, ist das nicht erlaubt.

So langsam gewöhne ich mich aber an die Gepflogenheiten auf den oberbayerischen Tanzflächen. Mir gefällt es immer besser, mit Freunden auszugehen. In Syrien sagt man, Tanzen schadet der Männlichkeit. Für die Integration in Bayern ist Tanzen jedoch eine sehr hilfreiche Betätigung, denn Musik und Tanz führt die Menschen zusammen.

So kam ich auch in den Genuss des Schuhplattelns. Das war mir gar nicht mal so fremd, in meiner Heimatstadt Rakka gibt es einen ähnlichen Tanz. Dort trommeln sich die Tänzer wie die bayerischen Schuhplattler in Trachtenkleidern auf dem Körper herum. Alle in einem Rhythmus. Der große Unterschied ist, dass beim Schuhplatteln bayerische Volksmusik läuft. Und dass man eine leichte Wampe haben muss, damit die Lederhose nicht herunterrutscht.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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