Neue Heimat:Warum dreht sich im Advent alles um Konsum und Völlerei?

Weihnachtsmarkt Darmstadt

Glühwein! Glühwein! Glühwein! Unser Kolumnist hätte aber gerne mal wieder Palmwein.

(Foto: dpa)

Glühwein, Weihnachtsmärkte und Geschenke-Shopping - unser Kolumnist aus Nigeria muss zugeben, dass er das alles etwas befremdlich findet.

Kolumne von Olaleye Akintola

Nun stehen sie wieder, die Hütten mit dem Nadelschmuck, mit ihren Lichtern und all den Farben. Die Christbäume blühen bunt auf, und wenn der Wind hineinfährt, ist es, als klatschten sie mit ihren Zweigen. Geröstete Nüsse genießen die Aufmerksamkeit der Menschen, sie zerknacken zwischen Zähnen und werden mit warmem Wein in den Schlund gespült. Weihnachten und seine großen Märkte sind zurück. Egal wo in Bayern, ob in München oder in Ebersberg, man kann ihnen auch dieses Jahr wieder nicht entkommen.

So viel Bohei wird hier um dieses Weihnachtsfest gemacht, wüsste man es nicht besser, man könnte meinen, dass Jesus ein gebürtiger Bayer war. Es war eine jungfräuliche Erfahrung, ein Abenteuer, als ich das alles zum ersten Mal erlebte. Ich stellte fest, dass heißer Wein sehr geeignet ist, das Monster des kalten Winters aus den Gliedern zu vertreiben. Und doch vermisse ich in diesen Tagen den nigerianischen Palmwein, dem man nachsagt, er sei ein von Gott gesegnetes Getränk. Palmwein gilt in meiner früheren Heimat als heiliges Wasser. Davon ist Glühwein dann doch recht weit entfernt.

Jetzt, Ende November, fühlt sich der Kopf klar an. Ich versuche mich auf das zu besinnen, was meiner Erfahrung nach einmal die Idee hinter jenen Weihnachtsfeiern war, die in den kommenden Wochen wieder anstehen. Wenn es dabei je um die Geburt Jesu gegangen ist, sollte man dann nicht in einer Kirche sein und energisch Lieder zu Ehren Gottes mitsingen? Ich frage mich, warum die Menschen hier stattdessen all ihre Energie in eine beeindruckend oberflächliche Darbietung des Konsums, in die Opulenz, die Völlerei stecken. Warum sich alles um Gelage, Getränke und Geschenke dreht.

Vielleicht hat all das einen übergeordneten spirituellen Sinn, und vielleicht reichen zwei Jahre in Bayern nicht aus, um diesen zu erkennen. Man möge mir mein Befremden also verzeihen, 33 Weihnachten, die ich in Nigeria erlebt habe, gehen nicht spurlos an einem vorbei und machen das Zusammentreffen mit dem Münchner Advent zu einer Herausforderung für den Verstand.

Wo ich herkomme, geht es in der Weihnachtszeit vielen um nüchterne Reflexion, Dankbarkeit und Hoffen. Die Kirchen sind in den Wochen um Weihnachten und Neujahr üblicherweise bis in die letzte Ecke gefüllt. Viele Gläubige übernachten in der Kirche, um sich in das neue Christenjahr hinüber zu beten, "cross over night", sagen wir in Nigeria dazu. Wenn man die Kirche verlässt, schallen einem von der Straße Gebete und Gesänge entgegen, die Menschen schreien sie zu Gott hinauf, sie bitten ihn um seinen Segen, dass das neue Jahr ihnen Gesundheit und Sicherheit bringen möge.

Vielleicht ist es logisch, dass viele Einheimische in München nicht ganz so viel Bedarf nach Hilfe von oben, nach Erlösung haben. Dass sie sich auf ihre Einkäufe und Glühwein-Tassen konzentrieren, weil es gerade keine Tragödie zu beklagen gibt, weil niemand im Umfeld mangels Geld an einer Krankheit gestorben ist. Kein Freund, der erstochen wurde, kein Familienmitglied, dem ein Attentäter ein frühes Grab beschert hat.

Viele Neumünchner sind dankbar, dass ihnen so etwas hier nicht passiert ist. Sie danken Gott, dass das Leben hier stabil ist, so stabil wie die Hütten mit dem heißen Wein. Vielleicht ist genau das die frühadventliche Botschaft der Menschen mit den Tassen und den Einkaufstüten.

Übersetzung aus dem Englischen: koei

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

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