Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Syrer streichelt Pferd

Klingt das banal? Unser Autor kann sich kaum ein stärkeres Symbol für Freiheit und Gerechtigkeit vorstellen.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

In der Region um München kommt man beim Joggen an Pferdekoppeln vorbei. Da sieht man dann Lichtfuchs und Rappen durch den Schnee stolzieren. Ein majestätisches Bild war das. Plötzlich aber kamen die beiden Pferde zu mir herüber, da habe ich mich entfernt.

Diese Nähe war ich nicht gewohnt, hatte ich doch in Syrien kaum Kontakt mit Pferden. Sie stehen dort nicht gemütlich auf der Koppel, sondern ziehen Verkaufswagen durch die Straßen. Einen Stall gab es trotzdem in Rakka, nicht weit weg vom Haus meiner Eltern. Als Kind hätte ich die Pferde dort gerne mal gestreichelt, doch das war verboten, denn die Tiere gehörten den Gefolgsleuten von Präsident Assad.

Um mir zu helfen, meine Scheu abzulegen, nahmen mich meine Nachbarn kürzlich zu ihrer Pferdekoppel mit. Steven, der fünfjährige Wallach, erwartete uns schon hufscharrend. Die kleine Tochter der Familie hielt Steven einen Apfel hin, und - ich staunte nicht schlecht - das Tier sah aus, als würde es lachen. Ein lachendes Pferd? Da kann man sogar über streng riechende Pferdeäpfel hinwegsehen. Und so ging mein Wunsch in Erfüllung, erstmals ein Pferd zu streicheln.

Das Tier war gut genährt, um nicht zu sagen dick. In Syrien sieht man keine solchen Pferde; sie machen eher einen ausgemergelten Eindruck. Manche schaffen es nicht, den Winter zu überleben; sie liegen dann tot im Straßengraben. Bayerische Pferde kommen einem da fast verwöhnt vor. Zumindest traf dies auf Steven zu. Als wir uns umdrehten, verfolgte er uns bis zur anderen Zaunseite, blieb stehen, spitzte die Ohren und wartete auf unsere Rückkehr. Jetzt mussten wir ihn noch verwöhnen, ihn striegeln, die Hufe säubern und seine Mähne in Form bringen.

An Pferd und Reiter lässt sich gut ausmachen, wie frei das Leben in Deutschland verglichen mit meiner früheren Heimat ist. Ein Beispiel aus den Achtzigerjahren: Damals fand in Syrien ein folgenschweres Pferderennen statt. Adnan Kassar, einer der besten Springreiter des Landes, trat gegen den Bruder des damaligen Regierungspräsidenten an. Kassar gewann das Rennen, verlor aber seine Freiheit: Kurz nach seinem Sieg wurde er eingesperrt, für 21 Jahre. Er war das Opfer von gekränktem Stolz.

Kurz vor meiner Flucht aus Syrien brannte sich ein schlimmes Bild in meinen Kopf: Ein Pferd liegt auf der Straße, von einem Bombensplitter zweigeteilt. Ich versuche nun, diese grausige Erinnerung zu verdrängen, indem ich Reitstunden nehme. Wenn man auf einem Pferd im Englischen Garten über den Schnee galoppiert, kommt der Rauch vom Atmen aus dem Mund, nicht aus zerstörten Häusern. Und so würde ich einen berühmten deutschen Aphorismus um eine Nuance ergänzen: Auf dem Rücken der Pferde liegt nicht nur das Glück der Erde, sondern auch die Freiheit.

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Quelle:
SZ vom 26.01.2018/bhi
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