Flüchtlinge in München:Wie der Traum von Gleichberechtigung im Taxi wahr wird

Flüchtlinge in München: Im Englischen gibt es nicht einmal ein Wort für die Taxifahrerin.

Im Englischen gibt es nicht einmal ein Wort für die Taxifahrerin.

(Foto: Robert Haas)

Als sie eine Taxifahrerin kennenlernt, ist unsere Neue-Heimat-Kolumnistin überrascht. In Uganda hätte eine Frau am Steuer keine Chance.

Von Lillian Ikulumet

Manche Jobs schreibt man eher dem einen Geschlecht zu, manche dem anderen. Woran das wohl liegt? Scheuen sich Frauen davor, physisch schwere Arbeit zu verrichten? Geht es ihnen darum, ihre feminine Ausstrahlung zu bewahren?

Ich habe mir diese Fragen gestellt, lange bevor ich von Uganda nach Bayern flüchtete. Schlüssig wurde ich mir nie, bis zu diesem Abend in München. Es war ein normaler Tag mit Freunden, der damit endete, dass ich am Ostbahnhof in ein Taxi stieg und dem Fahrer meine Adresse nannte. Hinter dem Lenkrad antwortete mir aber keine Männerstimme, sondern eine Frau. Also eine Taxifahrerin. Im Englischen gibt es dafür nicht einmal ein Wort.

"A taxi driver" könnte theoretisch zwar weiblich sein. In Uganda würde eine Frau aber niemals Taxis steuern. Dieser taxi driver war also eine Frau, und schon deshalb etwas ganz Besonderes für mich. Kurz nachdem sie den Motor anließ, erzählte sie mir auch noch, dass sie 80 Jahre alt ist. Really? Jetzt musste ich die Zeit nutzen, um alles über sie zu erfahren. Ob sie denn keine Angst habe? Ob sich ihre Kinder um sie sorgen, wenn sie nachts durch München fährt? Ob jemand deswegen schimpft?

Nichts davon mache ihr Sorgen, erklärte mir Gertraud. Gefürchtet habe ich mich stattdessen eher selber. So wie Gertraud in die Bremsen stieg und die Kurven schnitt, hob es mich fast aus meinem Sitz. Schneller als meine Chauffeurin raste nur mein Herz. Ich dachte, dass es jeden Moment krachen würde, es fühlte sich für mich an wie in einer schlecht gespielten Filmszene. Nur dass es eben echt war. Normalerweise hätte ich jetzt gebeten, aussteigen zu dürfen.

Doch ich blieb stumm, aus Respekt vor einer Frau, die man eher strickend in einem Schaukelstuhl vermuten würde. So rasten wir bis nach Feldmoching. So unheimlich es mir anfänglich war: Als wir ankamen, hatte ich keine Schramme und das Auto keine Delle. Gertraud ist rasant, aber sicher - unheimlich sicher. Schaukelstuhl? Gertraud kann mit einem Schalthebel wohl deutlich besser umgehen als mit einer Stricknadel.

Debatten über ungleiche Gehälter kommen in Uganda gar nicht erst auf

Doch nicht nur darum geht es. Ihre Rente, erzählte Gertraud, die reiche nicht aus, um alle Rechnungen zu bezahlen. Einerseits ist das traurig. Aber nicht nur. In Afghanistan und vielen arabischen und afrikanischen Regionen ist es Frauen nicht erlaubt, ein Auto zu fahren, geschweige denn ein Taxi. Frauen sind dann die Untergebenen, abhängig vom Mann - und wenn der nicht für sie sorgt, sorgt niemand für sie. In anderen Ländern sterben alte Frauen hungrig.

Gertraud spricht einen Münchner Dialekt, und aus ihren Erzählungen entnahm ich, dass sie stolz darauf ist, eine Taxifahrerin zu sein. Stolz darauf, Menschen von einem Ort an den anderen zu bringen. Stolz darauf, bis ins Alter für sich selbst zu sorgen. In München sieht man immer wieder Taxifahrerinnen, wohingegen man das in meiner früheren Heimat Uganda als unweiblich sehen würde. Eine Frau am Steuer eines Taxis würde sofort alle männlichen Fahrgäste verlieren. Ugandische Frauen sind an diese Regeln gewöhnt. Debatten über ungleiche Gehälter, wie gerade in Deutschland, kommen dort gar nicht erst auf.

Die Gleichberechtigung der Frau entwickelt sich zwar positiv, immer mehr Länder nehmen das in ihre Verfassungen auf. Dennoch passen sich viele Frauen nur langsam an oder werden von kulturellen Traditionen verschreckt. Am 8. März werden viele Frauen den internationalen Tag der Frau feiern. Dennoch ist Gleichberechtigung für viele von ihnen noch ein Traum. Gertraud sagte mir, ihr Traum sei solange erfüllt, wie sie am Steuer ihres Taxis sitzen kann.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Die Autorin: Lillian Ikulumet, 36, stammt aus Uganda. Bis 2010 arbeitete sie dort für mehrere Zeitungen, ehe sie flüchtete. Seit fünf Jahren lebt Ikulumet in München.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Ikulumet für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite...

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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