Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Ein Eigenheim wie Stadelheim

Aus seiner Heimat kannte unser Autor nur Häuser, die mit Mauern umgeben sind. Hier gibt es viel Glas - und viele Einblicke.

Kolumne von Olaleye Akintola

Meistens wird man in Bayern von schönen Blumen begrüßt, die man gut sehen kann, weil die Zäune oft nur hüfthoch sind. Die Häuser dahinter sind überwiegend weiß gestrichen, oder in Butterfarbe. Dazwischen steht in fast jedem bayerischen Ort ein Gemäuer mit Turm, in dem eine Glocke eingelassen ist. Um dieses Gebäude ist meist eine Mauer gebaut. Ansonsten halten sich die Eingeborenen mit Barrieren zurück. Keine dicken Wände, keine hohen Zäune, kaum ein Hindernis, das Eindringlinge ernsthaft fernhalten könnte. Höchstens mal ein dünner Zaun mit Lücken, so durchschaubar, dass man schon von weitem die Blumen sieht.

Wer aus Nigeria kommt und in Bayern ankommt, dem bieten sich ungeahnte Einblicke. Die Behausungen bestechen durch ihre Transparenz. Bayerische Fenster sind oft so groß, dass sie fast schon Glaswände sind. Eine wunderbare Eigenheit in diesem Erdteil. So kann man die Bewohner dabei beobachten, wie sie sich beim Abendessen zuprosten. Manche sitzen danach zusammen und spielen ein Brettspiel. Andere nehmen es mit der Transparenz auf mehreren Ebenen sehr genau: Sie drehen die Musik so laut auf, dass man ihnen nicht nur beim Tanzen zuschauen kann, sondern auch noch mithört und - bei Bedarf - mittanzt. Solche Momente sind besonders spannend, weil dann meistens die Polizei klingelt.

Für Beobachtungen dieser Art bräuchte es in vielen Teilen Nigerias einen Röntgenblick. Es ist ungeschriebenes Gesetz, dass die Häuser dort zwei Meter hoch umzäunt sein müssen. Das Eigenheim muss aussehen wie Stadelheim. Ob Mauer oder Zaun, es muss einer Festung gleichen, alles andere wäre eine Einladung für Einbrecher. Ein Zuhause ohne Sicherheitszaun wird wie ein nackter Körper gesehen. Viele sehen darin die Möglichkeit, sich zu schützen, in diesem polizeiarmen Land, in dem niemals ein Beamter wegen zu lauter Musik klingeln würde.

Was wohl nigerianische Familienväter daheim für Hosen tragen? Hier in Bayern lässt sich feststellen, dass viele Männer, die offenbar Kinder haben, karierte Pyjamahosen und weiße T-Shirts oder Unterhemden tragen. Eine gewagte Kombi, in der sie sich eine Tasse Tee (oder Kaffee, das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen) aus der Küche holen und vor den Laptop setzen. Oft gehören zu solchen Familien Katzen und Hunde, die ihre Körper an Möbeln reiben und dort sicherlich Abertausende Hunde- und Katzenhaare hinterlassen. Manchmal laufen die Haustiere auch mit den Kindern durch den Garten und werden von ihnen herumgetragen.

Auch in Bayern gibt es Menschen, deren Drang zur Transparenz weniger stark ausgeprägt ist. Diese Spezies erkennt man in aller Regel an Mauern aus Grünzeug, die Hecken heißen. Wichtig ist, dass die Hecke getrimmt ist, als käme sie frisch vom Friseur. Und doch fehlt der wesentliche Charakterzug einer echten Mauer: Manchmal geben die Äste der Hecke ein Loch frei - und verhelfen der Transparenz wieder zur vollen Entfaltung.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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Quelle:
SZ vom 09.08.2019
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