Neue Heimat:Schmorbraten in der Sauna

Neue Heimat: Die Sauna, ein Ort, der bei dem Nigerianer Olaleye Akintola Erinnerungen an den Orient wach werden lässt.

Die Sauna, ein Ort, der bei dem Nigerianer Olaleye Akintola Erinnerungen an den Orient wach werden lässt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Unser Autor kommt aus dem heißen Nigeria und hält Saunas für Quatsch. Bis er sich selbst in eine setzt.

Kolumne von Olaleye Akintola

Als ich in Deutschland ankam, besaß ich keine Jacke - ich hielt es für eine Übertreibung, was man über die Kälte in Europa liest. In der Tiefe des Teichs wird einem Fisch nicht kalt, heißt ein Sprichwort, das man sich in Nigeria gerne erzählt. In Afrika ist der Teich eine Sinnbild für die Erde und der Fisch für den Menschen. Wenn man einmal im Januar, nur bekleidet mit einem T-Shirt und einer Jeans, aus einem deutschen Flughafengebäude spaziert ist, dann kommt einem der afrikanische Sinnspruch recht sinnlos vor.

Kurz darauf hatte ich zum ersten Mal mit einer Erkältung zu tun, also habe ich mir am Ende doch eine Winterjacke gekauft. In zwei Jahren habe ich unzählige Kämpfe gegen die bittere deutsche Winterkälte geführt. Aber die Bayern wären nicht die Bayern, würde sie sich nicht Auswege gegen die Kälte einfallen lassen: Damit sie nicht frieren, setzen sie sich in beheizte Holzhütten und schwitzen, welch eigentümliches Ritual. Für einen Nigerianer, der 30 Grad im Schatten gewohnt ist, kommt so etwas überhaupt nicht in Frage. Man verkauft ja einem Eskimo auch keinen Schnee. Sauna ist Quatsch, davon war ich noch vor wenigen Wochen fest überzeugt. Doch dann fiel im Ebersberger Asylbewerberheim die Heizung aus.

Die nächst größere Sauna-Anlage liegt in Wasserburg, das Badria, am Abend ist es günstiger als tagsüber. Vor der Umkleide tummelte sich das Sauna- und Badevolk, viele hielten Matten in der Hand, wie die Teppiche der Muslime im Asylheim. Der ganze Ort erinnerte mich an den Orient, wie bei der Waschung in Mekka. Im Badria geht es allerdings nicht ums Beten, sondern ums Baden - und ums Schwitzen, deswegen war ich ja hier.

Hinter dem Saunaeingang hätte eine Vorwarnung gut getan, eine Hinweisschild, eine Zeichnung: Völlig unvermittelt standen dort plötzlich nackte Männer und Frauen, die mit lautem Getöse ihre Haare trockneten, diese Gruppe musste den Saunagang schon überstanden haben. In meinem Magen machte sich ein flaues Gefühl breit, also drehte ich mich um und flüchtete zurück in die Umkleide. Nach zehn Minuten traute ich mich wieder zurück. Ich bin vielleicht ein Fremder, aber noch lang kein Feigling.

Mit meinem zweiten Versuch schaffte ich es in einen der Holzverschläge, wo bereits nackte Körper auf Holzbänken lagen. Als ich mich zu ihnen setzte, machten die Leute Gesichter, als habe sich ein schwarzer Affe auf die Liegereihen gesellt. Ich ignorierte diese Nebensächlichkeit, wobei man sich bei dieser Affenhitze im Prinzip nicht über Gorilla-Besuch hätte wundern müssen. Dann schloss ich die Augen, genoss die Hitze - und zum ersten Mal nach fast zwei Jahren kamen nostalgische Gefühle in mir hoch: die afrikanische Sonne, Zeiten ohne Schnupfen. Es gab auch schöne Tage in Nigeria.

Die Nostalgie währte allerdings nur kurz, der kleine Raum hatte sich auf 60 Grad erhitzt, doppelt so hoch wie die Durchschnittstemperatur in meiner früheren Heimat Lagos. Ich glaube, den anderen Saunabesuchern ging es ähnlich, sie bewegten sich wie Figuren einer spirituellen Welt, deren Bewegungen durch metaphysische Anweisungen gesteuert werden.

Ich selbst fühlte mich wie ein bayerischer Schweinsbraten, der in seiner eigenen Soße schmort, also machte ich die Saunatür auf und kühlte mich im Wasser ab. Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen, als plötzlich zwei junge Frauen ins Wasser kamen, unbekleidet. Schon flüchtete ich aus dem Becken. Ich bin vielleicht kein Feigling, aber dass ich ein Fremder bin, das merkt man mir wohl doch noch an.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

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