Neue Heimat:Die Geister, die ich mied

Grundschule

Prinzessinnen, Dschungelbilder und Spinnengetier: Schon auf den Schulranzen sieht man Bedrohliches.

(Foto: dpa)

Knochen und Schädel dienen in der Heimat unseres Autors dazu, Menschen von Gefahren fernzuhalten. Anders als in Nigeria tragen Schüler solche Bilder in München auf dem Schulranzen.

Kolumne von Olaleye Akintola

Blutsaugende Teufel, Schädel von massakrierten Menschen, Geister mit fahlem Blick, als schaue man dem Tod direkt in die Augen. Teilweise springen sie einem in München wie aus dem Nichts ins Gesicht. Diese Bilder von unheimlichen Fledermäusen auf Beutezug, Hexen und Magiern mit weit aufgerissenen Augen. Netze mit Spinnen, die nur darauf warten, ihrem nächsten Opfer einen Albtraum zu bescheren. Warum so viele hässliche Fratzen an diesem wunderschönen Fleck Erde?

Man sieht sie in Wohnungen, auf Postern, in Schmuckstücken eingraviert oder auf T-Shirts gedruckt. Stets in zentraler Position angebracht, sodass man direkt mit den Fratzen in Berührung kommt, wenn man den Träger oder die Trägerin etwa zur Begrüßung umarmt. Als Tattoos werden Totenschädel und Teufelsgesichter sehr oft an auffälligen Körperstellen präsentiert. Vielleicht als Warnung, damit die Mitmenschen einen Sicherheitsabstand einhalten? Bei manchen Frauen könnte man hingegen meinen, sie bringen besonders schaurige Tattoos an besonders delikaten Körperzonen an, um teuflische Liebhaber auf sich aufmerksam machen.

Die Symbole gehören sogar für Kinder schon zum Alltag - man sieht sie auf Schulranzen und auf Schminktäschchen - und beim Handyklingelton kann man sich zwischen Hexengeschrei oder Geistergeheule entscheiden. Wohl kaum jemand würde deswegen groß Kritik üben oder die Flucht ergreifen. Mich jedoch erschrecken Anblicke grausiger Gestalten und horrorartige Soundeffekte nach wie vor.

Warum diese metaphysischen Symboliken? Warum diese diabolischen Bilder? Wo es doch so viel Positives gibt, für das die Menschen ihre Dankbarkeit ausdrücken könnten. Bayern, mit seinen wunderschönen Bergen und Seen. Eine Gesellschaft, die weltweit um ihren Wohlstand beneidet wird. Und doch tragen manche den Teufel an sich. Aber tragen sie ihn auch in sich?

Im Kommunikationswissenschaftsstudium in Nigeria wurde uns vermittelt, das die Interpretation von Ikonen und Symbolen in Kunst und Kommunikation von der Gesellschaft abhängen, in der sie verwendet werden. In Nigeria zum Beispiel dienen Knochen und Schädel dazu, Menschen von tödlichen Gefahren fernzuhalten. Die Polizei verwendet solche Symbole, um Raser auf der Straße abzuschrecken - was nicht zwingend funktioniert. Bauern hängen Masken an ihre Zäune, um Viehdiebe zu vertreiben.

Im Winter sieht man in Bayern gar lebendige Hexen, Geister und Teufel herumlaufen - sie sollen den Winter austreiben. Aber was soll man von einer Versammlung von Erste-Welt-Monstern an einem Ort namens Geisterbahn halten? Auf dem Oktoberfest hätte ich darin fast eine Herzattacke bekommen. Und dafür zahlen die Leute auch noch Geld? Fast habe ich den Eindruck, als wäre das eine Art Erlebnis-Kompensation. Weil viele Münchner in ihrem Leben nur sehr selten die Schrecken des Alltags dieser Welt erleben.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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