Neue Heimat:Die Bayern freuen sich, wenn man ihr Gwand anzieht

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Schamanische Amulette und Glücksbringer an einem Gürtel an einer Lederhose. (Foto: dpa)

Erst dachte unser Kolumnist aus Syrien, dass es sich bei der bayerischen Tracht um ein Clowns-Kostüm handelt. Doch dann probiert er sie sogar selbst aus.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Als ich vor einem Jahr in Kirchseeon am Bahnhof ankam, sah ich diesen Mann mit dem weißen Hemd und der sonderbaren Unterbekleidung. Es handelte sich dabei um ein recht eng geschnittenes lederartiges Hosenkonstrukt, das unterhalb der Kniewölbung endete und in einer Kombination mit schwarzem Schuhwerk getragen wird.

Die meisten Männer, die sich so kleiden, werden von einer Frau begleitet, die in ein langes Kleid gehüllt ist, und in eine Bluse, die zu eng sein muss. Damit man der Frau die Atemnot nicht sofort ansieht, schmückt sie sich ausgiebig und steckt sich Blümchen ins Haar. Man verzeihe mir meinen ersten Gedanken - aber damals habe ich geglaubt, dass ich es hierbei mit zwei Clowns auf dem Weg zu einem Kindergeburtstag zu tun hatte.

Es dauerte nicht lange, um herauszufinden, dass Lederhose, Dirndl und Trachtenanzug für viele Leute in dieser Region ganz normale Kleidungsstücke sind. Die Leute auf dem Land tragen sie auf der Straße, im Wirtshaus und in der S-Bahn, ähnlich wie in Syrien, wo fast jede Stadt und Region ihre eigene Tracht hat. In Rakka und in Damaskus flechten sich die Frauen ebenfalls die Zöpfe, nur dass ihre Trachtenkleider obenrum weniger offenherzig ausgelegt sind.

In Rakka wird gerne über die Tracht eines anderen diskutiert

In München habe ich mal ein Pärchen im Trachten-Outfit angesprochen und eine Antwort auf Italienisch bekommen. Um sich mit bayerischer Tracht zu schmücken, muss man kein Eingeborener sein. Kürzlich habe ich selbst einen Annäherungsversuch bei der Kleidung gewagt, oder wie man hier sagt, beim "Gwand". Bei der Anprobe entschied ich mich für eine halblange Lederhose, an der auf der Seite Edelweiß-Blüten, Enziane und ein Hirschkopf eingestickt sind. Wie die meisten habe ich die Ärmel des Trachtenhemds nach oben gekrempelt, dazu Wadlstrümpfe, wie es sich gehört.

Es ist schön zu sehen, welche Freude man bei Bayern auslösen kann, indem man ihr Gwand anzieht. Daran sieht man, mit wie viel Stolz und Hingabe die Leute ihre Tracht tragen. In meiner früheren Heimatstadt Rakka wird gerne über die Tracht eines anderen diskutiert: Wenn etwa die dünnen Beine der jungen Leute unter dem Gewand herausschauen, dann muss man sich in Syrien anhören, dass man im Besitz von Entenbeinen sei.

Bestimmt hat bei mir auch schon der ein oder andere kritisch geschaut, weil mir die Strümpfe und die Lederhose ehrlicherweise ein bisschen zu weit sind. Man kann eine Tracht nicht nur anhaben, man muss in sie hineinwachsen. Gut dass man vom Joggen stramme Waden bekommt. Für den Bauchumfang muss ich mir etwas einfallen lassen.

Übersetzung : Korbinian Eisenberger

© SZ vom 05.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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