Neue Heimat:Freibier? Dafür trage ich die Schrankwand alleine hoch

Umzug München Umzugshelfer

Ein Umzug will gut vorbereitet sein.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Aus seiner Heimat Rakka kennt unser Kolumnist Umzüge auf rustikale Weise: alles auf den Traktoranhänger und los gehts. Das ist weniger planungsintensiv als in München, aber auch riskanter.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Hast du am Samstag Zeit, nur ein, zwei Stunden? Wahrscheinlich hat diese Frage jeder schon gehört. Sie kommt, wenn ein Umzug bevorsteht. Kein Münchner hört sie wirklich gerne. Das ist einerseits verständlich. Anderseits kommt man kaum darum herum, sie zu stellen. Eine verzwickte Lage.

Wer in München einen Umzug wagt, braucht einen ausgefeilten Plan. Dazu zählt, dass man sich eine Armada an Kistenschleppern organisiert. Entweder für teures Geld von einer Firma oder eben aus dem Freundeskreis. Vor meinem ersten Umzugseinsatz wurde ich von einem Freund als geeigneter Helfer ausgemacht. So bekam ich es mit einer riesigen Anzahl an Kartons zu tun und fragte mich, ob der Mann einen Paketversand hat. Dabei wollte er nur von Kirchseeon in die Münchner Innenstadt ziehen.

In Syrien geht so ein Umzug relativ schnell und ohne Organisationsaufwand. Man braucht nur einen Traktor mit einem großem Anhänger. Vor dem Umzug ist es Brauch, sich von allen Nachbarn zu verabschieden mit dem Wunsch, nur Freunde in Frieden zurückzulassen. Beim Umzug räumen alle zusammen jedes Trumm ruckzuck auf den Anhänger. Kartons? Davon haben meine Leute noch nie etwas gehört. Braucht es auch nicht, bei so vielen helfenden Händen.

Als Kind war ich daheim in Rakka öfter bei Umzügen dabei. Zum Beispiel, als meine Großeltern in ein größeres Haus zogen. Ich und der Hund meines Opas saßen im hintersten Eck des vollgepackten Anhängers. Über mir wackelte ein Stuhl, neben mir schepperte ein Schrank voller Teetassen. Ich saß zwar weich auf einem Teppich. Auf der unebenen Straße wurde ich aber so hin- und hergeschüttelt, dass die Kommodentür aufging und Tassen herauspurzelten. Wenig später verlor ich den Halt und flog vom Anhänger herunter. Autsch.

Insofern waren die Umzüge in Rakka zwar weniger planungsaufwendig. Allerdings auch riskanter. Hier sind die Umzugswagen geschlossen, niemand sitzt auf der Ladefläche. Dafür haben die Münchner Altbauhäuser viel zu viele Etagen. Sechster Stock, ohne Aufzug? Wer so was vorhat, weiß, wie er seine Helfer lockt. Die Information mit dem Klavier, das oberste Stockwerk mit der engen Treppe bleibt zunächst geheim. Dafür wird eine Kiste Bier und Leberkäse ausgelobt. Freibier? Da trage ich die Schrankwand alleine hoch.

Alleine ist das Stichwort. Wer hier in ein Mehrparteienhaus einzieht, sollte sich nicht auf spontane Hilfe verlassen. Anders als in Syrien, wo die neuen Nachbarn meist schon in den Startlöchern stehen, wenn ein Neuankömmling im Anmarsch ist. Nach altem Brauch werfen die Leute Reis über alles, was ankommt, denn es soll Glück bringen.

Es klappt aber auch ohne Reis: Etwa bei meinem Umzug aus einer Turnhalle in eine kleine eigene Wohnung. Eine Decke, zwei Bücher und meine Kamera war alles, was ich mitbrachte. Der Aufbau der Möbel, die ich günstig erwerben konnte, gestaltet sich jedoch sehr schwierig. Da hilft auch kein Reis. Da braucht es einen erfahrenen Einheimischen, der einem dabei hilft, diese verflixten schwedischen Regale aufzubauen.

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Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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