Neue Heimat:In Deutschland sind Wahlkämpfer gutartige Teufelchen

A screen that shows the TV debate between German Chancellor Angela Merkel of the Christian Democratic Union (CDU) and her challenger Germany's Social Democratic Party SPD candidate for chancellor Martin Schulz in Berlin

Sanft wie zwei Kätzchen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Herausforderer Martin Schulz (SPD) beim TV-Duell.

(Foto: REUTERS)

Sie zanken sich sanft mit stumpfen Waffen, findet unser Autor aus Nigeria. Aus seiner Heimat ist er eher wildes Säbelrasseln gewohnt.

Kolumne von Olaleye Akintola

Jetzt, wo in Deutschland die heiße Phase im Bundestagswahlkampf läuft, müsste man meinen, dass sich das Münchner Stadtbild wandelt. Doch die Straßen sind fast unverändert, jeder macht so weiter wie sonst auch. Ich hatte erwartet, dass die Wahlkämpfer die Straßen deutlicher für sich beanspruchen, mit Pauken und Trompeten, spektakulär und mit großem Tamtam - so kenne ich es von da, wo ich herkomme.

In Nigeria ist diese Zeit wie ein lang erwartetes Musikfestival, der Straßenwahlkampf tobt wie ein Umzug. In München hängen hingegen nur Plakate herum, die ernsthaft politisch Interessierten konzentrieren sich lieber auf den Wahlkampf in den Medien.

Diese Stille, die ich in München wahrnehme, löst bei mir ein Gefühl der Ungewissheit aus, darüber, in welche Richtung das politische Pendel der Deutschen am Wahlsonntag ausschlagen wird. Das ist eine mir bis dato unbekannte Befindlichkeit. Im Politikstudium in Nigeria lernt man, dass das Aggregat der Stimmen auf der Straße den Wahlausgang repräsentiert. Jetzt bin ich neugierig, ob diese Theorie in meiner neuen Heimat auch anwendbar ist, vermute aber, dass ich nun meine eigenen Schlussfolgerungen ziehen muss.

Meine Ohren sind zu diesem Zwecke ganz nah am Volk, und meine Augen sehen viele Plakate von wunderschön komponierten Fotos. Darauf: hinreißend gekleidete, unschuldig lächelnde Kandidaten, sie transportieren mehr oder weniger gut überlegte Botschaften. Die Plakate zeigen Männer - aber auch Frauen, manche davon durchaus jugendhaft, das wäre in vielen Teilen Afrikas kaum denkbar.

Ich halte oft vor den Plakaten an, übersetze und denke zurück an den letzten Wahlkampf in Nigeria. Jahrzehntelang haben die Politiker dort die Wähler getäuscht und hereingelegt, mit dem Köder aufgeblasener Programme, welche angeblich die Armut lindern, oder solche, die eine moderne Infrastruktur prophezeien. Gedacht sind sie für ein teils leichtgläubiges Publikum, das dem Charme der lechzenden Wahlkämpfer wie eine betrunkene Jungfrau erliegt und dann für sie stimmt.

Vielleicht ist es eine Form von Hypnose, ich möchte da nicht urteilen. Manchmal kommt es mir aber so vor, als ob nigerianische Politiker handeln wie ein Mann, der gerade eine Wurst in der Semmel gekauft hat, die Wurst verschlingt und die Semmel hart werden lässt und wegwirft. Die Macht ist die Wurst, und die Semmel, das sind dann eben die Wähler.

Seehofer - das gutartige Teufelchen

Für deutsche Politiker passt die Wurstparabel nicht so gut, das Publikum der Wahlberechtigten kommt mir hier kritischer vor. Angela Merkel, Martin Schulz, Horst Seehofer und Co. wirken eher wie kleine gutartige Teufelchen, die sich um einen Topf mit öligem Popcorn zanken, mit Gummipolstern auf ihren stumpfen Dreizack-Spießen, damit sich niemand dran pikst.

In Nigeria wäre ein solch sanfter Umgang, wie Merkel und Schulz ihn pflegen, undenkbar. Das Säbelrasseln der Kandidaten gleicht dort eher einem wilden Geschepper. Politiker kaufen Stimmen, die Armen verdienen sich ein Zubrot und geben ihre Mündigkeit dafür ab. Manchmal endet das dann auch blutig, für führende Mitglieder unkonventioneller politischer Strömungen oder für kritische Journalisten. In Nigeria sagen sie: Wenn du die Hitze nicht verträgst, dann gehe lieber nicht in die Küche. Man sagt aber auch, dass die Leute sich an jene Regenten erinnern werden, deren Herrschaft friedlich und gütig war. Wenn das in Deutschland auch zutrifft, dürfte der Fall am 24. September wohl ziemlich klar sein.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

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