Neue Heimat:Im Land der Fremdenzimmer

Fremdenzimmer

Ein Schild mit der Aufschrift "Fremdenzimmer" hängt an der Wand einer Pension in Rheinland-Pfalz.

(Foto: Sonja Marzoner)

Viele Araber denken, dass Menschen in Deutschland weniger gastfreundlich sind. Dann wird unserem Kolumnisten die Tür geöffnet.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Diese Geschichte beginnt in Syrien, wo ich zum ersten Mal einen Menschen aus Deutschland traf. Zehn Jahre ist das nun her, damals war ich Student in Damaskus. Mir und meinen Kommilitonen war ein junger deutscher Tourist begegnet, der uns nach einem nahe gelegenen Hotel fragte. Er war etwas unsicher - und wir boten ihm an, ihn zu begleiten. Wir zeigten Sebastian die Stadt und boten ihm an, statt im Hotel bei uns in der WG auf dem Uni-Campus zu bleiben. Wie gewohnt saßen wir mit ihm beim gemeinsamen Essen auf dem Boden, doch unser Gast schaffte es nur bis in die Hocke. Er hatte unser Angebot zwar angenommen, wirkte jedoch misstrauisch: Die ersten Nächte schlief er mit der Tasche unter dem Kopf.

So ungewöhnlich ich das damals empfand -mittlerweile habe ich selbst erlebt, dass der Mensch automatisch Vorurteile hat, wenn er in ein fremdes Land kommt, ob er will oder nicht. Generell haben viele Araber ein Bild von deutschen Haushalten, wonach Gastfreundschaft dort als weniger wichtig angesehen wird als etwa in syrischen Häusern. Vielleicht hatte die Begegnung mit Sebastian bei mir persönlich einen nicht ganz unwesentlichen Anteil. Mit diesem Bild im Kopf kam ich nach meiner Flucht vor knapp drei Jahren im Osten von München an. Mein erstes Problem waren natürlich die Papiere, Formulare bis zum Erbrechen, in einer mir damals noch völlig fremden Sprache. In meiner Verzweiflung bot mir eine Familie aus Kirchseeon Hilfe an. Ich nahm an, dass wir die Sache an der Haustüre abwickeln würden. Als sie die Türe öffneten und sie mich sehr freundlich baten einzutreten, war ich überrascht. Sie tranken mit mir Kaffee, und es gab leckeren Kuchen.

Fast wie zu Zeiten, als man in Syrien noch ohne Angst Fremde in sein Haus bitten konnte. Ein Gefühl von daheim. Dann jedoch passierte etwas, worauf ich nicht vorbereitet war. Die Familie fragte mich, wo ich herkomme. Sie wollten wissen, wie es meiner Familie in Syrien geht. Da blieb mir der Apfelkuchen fast im Hals stecken. In Syrien wird es als unhöflich empfunden, wenn der Gastgeber Fragen stellt. Der Gast würde das als Form der Zurückweisung verstehen. In Erinnerung an meine syrischen Bräuche fühlte ich mich abgewiesen. Ich dachte wieder an die Schilder mit der Aufschrift "Fremdenzimmer", die vor vielen bayerischen Häusern hängen. Auf meine Gastgeber musste ich sehr erschrocken gewirkt haben.

Schon war er wieder da, dieser Funke im Kopf, der einem vermitteln will: Eigentlich wollen sie dich hier gar nicht haben. Doch das war verkehrt. Zum Glück erkannten meine Gastgeber schnell, dass hier was nicht stimmte - und wir klärten einander auf. Und so war es dann wie in Syrien. Dort wird jeder gastfreundlich empfangen und bewirtet.

In Syrien sagt man, dass der Gast sein Tier nicht selbst mitbringt. Der Gastgeber hat also die ganze Arbeit - so gehört es sich dort. In Bayern teilen sich die Leute das ganz gerne auf, zum Beispiel beim Grillen. Wenn jeder was mitbringt, hat es der Gastgeber entspannter. Beide - die bayerische und die syrische Gepflogenheit - können was Schönes sein. Man muss sich nur darauf einlassen. So war es auch mit Sebastian. Nach vier Tagen Zusammenleben kam er mit uns zum Uni-Fußball und begleitete uns in die Moschee. Abends haben wir zusammen gekocht, und als er ins Bett ging, da lag sein Rucksack irgendwo in der Ecke.

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Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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