Neue Heimat:Im Gemeinderat fliegen keine Stühle

Karikatur Gemeinderat

In bayerischen Gemeinderäten gibt es verschiedene Typen, manche glänzen durch Abwesenheit, gewalttätig sind dort aber die wenigsten.

In bayerischen Gemeinderäten geht es meist recht gesittet zu. Aus seinem Heimatland Nigeria kennt unser Autor da ganz andere Szenarien.

Kolumne von Olaleye Akintola

Welch karge Einrichtung, nichts weiter als Tische und Stühle. Ein leerer Raum, das einzige Volle waren mehrere Glasflaschen, gefüllt mit Mineralwasser und Apfelschorle, zwei an jedem Tisch. Ich halte Ausschau nach einem Essens-Service-Point und Bedienungen, doch nichts dergleichen ist hier zu finden. Niemand serviert hier kalte Drinks und Snacks. Meine Gemeinderatssitzung in Oberbayern hat gerade angefangen. Und ich frage mich, wie die Männer auf den Stühlen die kommenden Stunden in dieser Umgebung überstehen wollen.

In dem Ort Markt Schwaben trifft sich der Gemeinderat einmal im Monat in einem Raum im Feuerwehrhaus. Ich kenne solche Zusammenkünfte aus meiner früheren Heimat Nigeria, die Argumente fliegen durch den Raum, viele nigerianische Politiker, ob lokal oder überregional, nutzen solche Gelegenheiten aus, um sich in der Redekunst zu erproben, was gar nicht so einfach ist, weil man ständig unterbrochen wird.

Politische Treffen sind anstrengend, wohl auch deshalb gibt es in Nigeria den Satz: "Ein hungriger Mann hört der Predigt nicht zu." Meetings sind deshalb immer von einem fabelhaften Buffet umrahmt, wir nennen das Infrastruktur für den Magen. In den Pausen werden oft Lieder eingespielt, die Mittagspause ist ein wahrer Ohrenschmaus. Alles auf Kosten der Dorfverwaltung, so ist das in vielen Teilen Nigerias. Die Politik hat das Geld, das den Menschen auf dem Land fehlt.

In Markt Schwaben hingegen gibt es keine Pause, der Bürgermeister geht seine Liste ohne großes Getue konsequent durch - vom ersten bis zum letzten Thema, dafür haben sie in Bayern das Wort "Tagesordnungspunkt". Ein bayerischer Gemeinderat ist ein Erlebnis. In Markt Schwaben steht die Tür zum Sitzungssaal den ganzen Abend offen, jeder, der will, kann sie öffnen und sich einfach auf einen Zuschauerstuhl setzen. Ich frage mich, wie hier die Sicherheit garantiert werden soll. In Nigeria würde eine Sitzung wie diese an den Eingängen von bewaffneten Security-Leuten bewacht werden. Damit keiner mit einer Waffe hineinkann. Notfalls aber auch, um verfeindete Politiker voneinander zu trennen.

In Markt Schwaben sitzen hingegen sogar Frauen im Gemeinderat, die Leute lassen sich gegenseitig ausreden, selten, dass einer dazwischenruft. Wer will, kommt zu Wort, der Bürgermeister leitet die Debatte, und so zieht sich der Abend vier Stunden in die Länge. Erstaunlich, mit welcher Geduld und Hingabe sich die Menschen ihrem Amt hingeben, wo sie doch kaum etwas damit verdienen. Verglichen mit dem Gehalt nigerianischer Politiker ist das Sitzungsgeld bayerischer Gemeinderäte ein Witz. Auch wenn Nigeria ein armes Land ist - als Politiker hat man dort ein schönes Leben. Wer am Altar sitzt, bedient sich auch daran.

Veranstaltungen in Nigeria enden oft im Fiasko

Das Feuerwehrhaus erscheint mir dennoch kaum geeignet, um echte Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Meine Befürchtungen mögen albern klingen: Wenn man aber als politischer Journalist in Nigeria gearbeitet hat, dann ist man daran gewohnt, das Veranstaltungen wie diese im Fiasko enden. Es wird gestritten und gemobbt, es kommt zu Handgreiflichkeiten, nicht selten auch zu Schlägereien.

In Markt Schwaben bleiben alle Flaschen heil, bis zum Schluss. Leider verstehe ich zwar so gut wie nichts von dem, was gesprochen wird, nur dass man gerade den Bau einer neuen Schule diskutiert. Dafür habe ich den Erkenntnisgewinn, dass einem hier weder Stühle noch scharfe Gegenstände um die Ohren fliegen. Und dass man sich hierher wagen kann, ohne einen Grundkurs in Karate oder Boxen belegt zu haben.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Olaleye Akintola stammt aus Nigeria. Bis zu seiner Flucht 2014 arbeitete er dort für eine überregionale Tageszeitung. Nun lebt er in Ebersberg.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Akintola für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite. Hintergründe zu unseren Kolumnisten finden Sie hier.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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