Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Leine nicht, wenn der Dackel bellt

In seiner Heimat Syrien wäre es peinlich, mit einem Hund spazieren zu gehen. In München konnte unser Autor ganz neue Erkenntnisse gewinnen.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Ein tägliches Ritual vieler Bayern ist das Gassigehen mit dem Hund. Wobei ich mir immer wieder die Frage stelle, ob der Vorgang tatsächlich für beide Seiten eine Freude ist. Bei manchen Mensch-Hund-Beziehungen kommen Zweifel auf. Etwa bei jenem Typen, der sein Tier mehr oder weniger hinter sich herzieht. Beim Haustier dieses Gassigehers handelt es sich um einen unverbesserlichen Faulpelz, der am liebsten daheim auf dem Bettvorleger fläzt und an einem Knochen herumkaut. Ich kann diesen Typ Hund gut verstehen. In Syrien bleiben Hunde daheim, zwar nicht im Haus, aber davor. Sie dürfen gemütlich herumliegen und kommen nur zum Einsatz, wenn sie als Wachhund gefragt sind. Wachhund, das ist ihre Bestimmung.

Der bayerische Hundebesitzer verspürt hingegen den steten Drang, sich und seinen Begleiter in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Vielfach spannt sich deswegen die Leine zwischen Halter und Hund. Wo ich herkomme, gibt es gar keine Hundeleinen. Wir lassen sie laufen, so können sie mit Artgenossen Kontakt aufnehmen. Gehören sie zu einer Familie, sind es Wach- oder Jagdhunde. Es gibt keinen Bildungsauftrag, weswegen syrische Hundeschulen eine Rarität sind.

Genau wie das Ausführen des Hundes. Gassigehen ist unbekannt, was ein wenig schade ist. Wo es doch erwiesen ist, dass Gassigeher sehr schnell mit Gleichgesinnten ins Gespräch kommen. Sie unterhalten sich zunächst über ihre Zamperl. Später führt das oft zu engeren Beziehungen bis hin zur Hochzeit. Manche Hundebesitzer suchen das Zwiegespräch hingegen lieber mit ihrem Tier. Solche Gespräche dienen oft als Ersatz für Kommunikation mit Menschen, was verständlich ist, weil das geliebte Tier jedes Wort versteht, auch wenn es bairisch ist. Von der außergewöhnlichen Intelligenz des eigenen Tieres ist jeder hiesige Hundebesitzer höchst überzeugt. Ach wäre ich doch nur so sprachbegabt wie ein Hund.

In Syrien wäre es eine Peinlichkeit, mit einem Hund spazieren zu gehen. Hunde haben dort eine ganz andere Funktion. Unsere Nachbarn etwa hatten Schafe, die von einem Hund bewacht wurden. Eines Tages wagten ich und zwei andere Lausbuben einen Streich. Wir nutzten die Siesta der Schafbesitzer, um ihren Wachhund mit einem stibitzten Stück Fleisch zu ködern. So konnten wir mit ihm einen Spaziergang machen - und ich erlebte quasi mein erstes Gassigehen, nur dass ich nicht wusste, dass es dafür ein Wort gibt. Wir trieben es schließlich so weit, dass der Hund immer verwöhnter wurde und schwieriger rumzukriegen war. Irgendwann war es so weit, dass ich ein ganzes Hähnchen aus der Küche stahl. Meine Eltern rätseln bis heute, wer der Dieb war.

Ein zweiter prägnanter Typ von Gassigehern ist genau das Gegenteil des ersten Paars. Es handelt sich um das Duett zweier Ambitionierter. Halter des Hundes ist in diesem Fall oft eine zierliche Frau höheren Alters, der man am liebsten umgehend ein ganzes Hendl servieren möchte. Und an der Leine hat sie einen ausgewachsenen Bernhardiner, groß wie ein Bär. Die Leine ist stets straff gespannt, hier zieht nun der Hund die Halterin.

Ganz eindeutig besteht oft eine innige Anziehungskraft zwischen den beiden Beteiligten einer Hund-Mensch-Beziehung. So mancher macht seinen Hund auch von der Leine los, damit sich die Hunde beschnuppern können. Zum Beispiel, wenn ein Labrador von einem Dackel angebellt wird, wie kürzlich beobachtet. Leinen los, kurz beschnuppern - schon ist das Gespräch eröffnet.

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Quelle:
SZ vom 26.04.2019
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