Neue Heimat:Syrische Gefängnisse sind einem Bergwerk nicht unähnlich

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Pressebilder Salzbergwerk Berchtesgaden

(Foto: PR)

Bayern steigen in ihrer Freizeit gern in Höhlen wie in Berchtesgaden. Unser Autor aus Syrien dagegen muss dabei an seine Monate in Haft denken.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Man braucht nicht lange in Bayern zu leben, um zu erfahren, dass man sich das Salzbergwerk in Berchtesgaden anschauen muss. In der Rangliste der Empfehlungen kommt es nach dem Oktoberfest und der Bergtour, ungefähr zwischen Schloss Neuschwanstein und dem Chiemsee. Klar: Nach eineinhalb Jahren in Bayern musste ich diese Erfahrung machen.

Was mich dort erwartete, hatte ich jedoch reichlich verkehrt eingeschätzt. Ich hatte mich auf eine Reise über die österreichische Grenze nach Salzburg eingestellt, eine schöne gemütliche Stadtbesichtigung, so war mein innerlicher Plan. Zwar hatte ich mich gewundert, warum sie die Stadt so komisch aussprechen, dachte mir aber nichts weiter, wie der Bayer halt so ist. Und dann landeten wir an diesem Ort, der noch auf der bayerischen Seite der Berge liegt, und so gar nicht städtisch ist. Dieser Ort, bei dessen Aussprache ich noch immer einen Knoten in die Zunge bekomme: das Salzbergwerk Berchtesgaden.

Man muss dazu sagen: Für einen Menschen, der den syrischen Krieg der vergangenen Jahre miterlebt hat, ist die bloße Vorstellung schon eigentümlich: Man setzt sich zwei Stunden in ein Auto, damit man sich dann in ein Wägelchen setzen kann, in dem man in einen tiefen Schlund hineinfährt. Genauso war es aber: Es ging hinein, in eine riesige Höhle. Wer tiefer in ein Bergwerk hinein will, der braucht vorher eine bestimmte Ausrüstung. In Berchtesgaden sind das schwarze Overalls, die sonst Menschen tragen, die im Weltall herumfliegen.

Es fühlte sich ein bisschen so an, als würden wir in einem Aufzug Richtung Himmel starten, so wie unser syrischer Astronaut Muhammed Faris. Aber statt ins All zu rauschen, bestiegen wir eine Bahn, die uns in die Tiefe brachte. Über Kopfhörer wurde ich auf arabisch informiert, wohin die Reise geht. Es war dunkel. Mich beschlich ein wenig Angst, ein Gefühl, das ich aus Syrien kannte, wo ich Wochen und Monate in unterirdischen Gefängnissen verbracht habe.

Syrische Gefängnisse sind einem Bergwerk von ihrer Konzeption her nicht ganz unähnlich. Sie sind unterirdisch angelegt, die Wände fühlen sich kalt an, und es ist überall finster. Nur, dass die Wände nicht nach Salz schmecken. Ich war insgesamt viermal in so einem Gefängnis. Ich kenne die Namen der Haftanstalten, weiß aber nicht, wo sie sind. Wenn man von Präsident Assads Polizei verhaftet wird - das passierte mir dreimal -, dann bekommt man etwas übergestülpt, sodass man nicht sehen kann, wohin man gebracht wird.

Genauso war es, als mich einmal die Schergen des IS mitnahmen. Die Zellenkorridore sind dann 200 bis 300 Meter lang, alle paar Meter ein Zimmer - und in einem davon stand ich mit anderen Männern hinter Gittern. Es ist so eng, dass man nicht sitzen, geschweige denn liegen kann. Manche hat die Regierung ganz tief unten eingesperrt, sie haben seit 20 Jahren keine Sonne gesehen. Zum Glück musste ich nie mehr als sechs Wochen am Stück dort sein.

Eine Lasershow lenkt von düsteren Gedanken ab

In Syrien würden sich die Menschen wohl nur dann freiwillig in Höhlen begeben, wenn sie sich vor Flugzeugen und Bomben verstecken müssten. Für Münchner sind Höhlen hingegen ein Freizeit-Event. Ein Film im Bergwerk, der die Geschichte des Salzabbaus zeigte, lenkte mich von meinen düsteren Gedanken ab. Gruppenweise ging es nun auf einer Rutsche in die Tiefe, dann gab's eine Lasershow mit Musik. Kein Wunder, dass dieser Ort ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt ist.

Syriens Gefängnisse werden dies wohl eher nicht werden, vor allem weil es zum Essen meist nur Kartoffeln gibt, ohne Salz. So gesehen wäre es sicherlich praktischer gewesen, man hätte uns damals im Berchtesgadener Bergwerk eingesperrt.

Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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