Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Warum essen die Münchner so gerne auswärts?

In Nigeria, der Heimat des Autors, verzichtet man in der Regel darauf - weil man nicht weiß, was im Kochtopf landet.

Kolumne von Olaleye Akintola

Es beginnt früh morgens: Wenn die Cafés ihre Tore öffnen, fallen die Münchner ein und verspeisen ein Lachs-Sandwich und trinken eine Tasse Cappuccino dazu. Damit starten sie in ihren Tag. Sie geben teuer Geld aus für eine Mahlzeit, die den Namen nicht verdient. Statt wie so mancher Bewohner der nigerianischen Stadt Lagos es machen würde: Eine großzügige Portion Fufu-Brei, um den Magen so aufzufüllen, dass es bis zur Heimkehr von der Arbeit satt hält, selbst wenn man am Abend noch im Stau feststeckt. Der Nigerianer macht seinen Nahrungstank vor dem Verlassen des Hauses voll. Der Münchner pflegt hingegen das Eat-Out-Mehrfach-Prinzip.

Um kurz nach zwölf geht es in die nächste Runde: Pfeile zeigen einem den Weg zu den günstigen Mittagsangeboten: asiatisch, türkisch, griechisch, italienisch, afrikanisch - oder doch lieber bayerisch? Sushi, Burger, Pasta oder Schnitzel? Als würde sie den Duft von weitem riechen, strömen die Münchner dann wie von einem Magneten gezogen von den Büros in die Lokale. Ihre Menüs stehen mit bunter Farbe auf schwarzen Tafeln. Und hinten warten schon die Köche in der Küche, mit ihren Kopfbedeckungen, die den Hüten des katholischen Klerus ähneln. Und die Münchner tafeln und zechen los, als wäre es das Normalste der Welt.

Nach Feierabend ein ähnliches Spiel, nur dass nun Kerzen auf den Tischen brennen. Besonders beliebt als After-Work-Location ist der Stachus, dort sind die Wirtshäuser fast immer restlos voll, wenn ich vorbeilaufe, teilweise marschieren die Anzugträger gruppenweise daher und erobern mehrere Lokale gleichzeitig. Besonders überfallartig dringen die Stadtbewohner in die Wirtshäuser ein, wenn der Fußballklub Bayern München im TV läuft. Wie wilde Horden schlemmen und saufen sie Küchen und Keller leer. Ohne Rücksicht auf all die Verluste, die der eigene Geldbeutel zu erleiden hat. Münchens Restaurantbesitzer dürfen sich sehr glücklich schätzen.

Auf der anderen Seite ist ja auch irgendwo verständlich, wo doch Essen den Magen beisammenhält, und wer lässt schon sein Geld auf der Bank versauern und hungert stattdessen vor sich hin. Und doch frage ich mich, wie man sich diese Regelmäßigkeit im Restaurant leisten kann. Manchmal stelle ich mir die Frage, ob da noch aus Hunger gegessen wird, oder aus dem Spaß an der Freude.

In Nigeria sagt man: Im Lokal speist nur, wessen Frau das Kochen nicht beherrscht. Eines bleibt nebulös: Warum essen die Leute ständig auswärts, wo sie doch direkt vor der Haustür frische und saubere Ware bekommen. Warum eine teure Restaurantrechnung bezahlen, wo doch Fleisch, Gemüse und auch sonst alles preisgünstig im Laden um die Ecke zu finden ist? Zumal: Woher will ich wissen, dass der Koch nicht in den Topf geniest hat? Oder wie gewissenhaft das Küchenpersonal beim Händewaschen ist? Ich jedenfalls bevorzuge weiter die kontrollierte kostengünstige Variante.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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SZ vom 18.04.2019/vewo
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