Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Eine Mama unter Isar-Singles

Unsere Autorin hat ein Kind bekommen - und das ist in München eine komplett andere Erfahrung als in ihrer ugandischen Heimat.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Vier Wochen ist es nun her, dass ich meine Tochter zur Welt gebracht habe. Es war mein großer Wunsch. Für mich ist eine Familie ohne Kinder unvollständig. Das mag mit meinem Wesen zusammenhängen, wahrscheinlich auch mit der ugandischen Kultur: Kinder zu bekommen, gehört dort einfach dazu. In München scheint das etwas anders zu sein. Viele Münchner erzählen mir, dass sie sich nicht vorstellen können, Vater oder Mutter zu werden. Seit meiner Entbindung in einem Münchner Krankenhaus erstaunt mich diese Tatsache von Tag zu Tag mehr.

Da es meine erste Schwangerschaft war, hatte ich keine Ahnung, welch luxuriöse Bedingungen München einem bietet. Zum Beispiel, dass man bei jedem Arztbesuch ein kostenloses Schwarz-Weiß-Foto von seinem Baby bekommt. Ich habe sogar eine Reihe von 3D-Fotos und ein Video erhalten. Und einen genauen Termin, wann das Baby geboren wird. Sehr deutsch, und sehr hilfreich.

Vier Wochen ist meine Tochter mittlerweile alt. Nun komme ich mit ihr so ganz langsam aus dem Haus und erlebe die Münchner mit leicht verändertem Blick: eine Gesellschaft vieler junger kinderloser Menschen, die Isar-Singles. Klar, die Reise von der Schwangerschaft bis zur Mutter ist oft wie eine Achterbahnfahrt. Zum Beispiel die komplizierten Fachbegriffe der Krankenhäuser, gerade wenn man zwar werdende Mutter ist - aber eben nicht Muttersprachlerin. Und dann die Wehen, wenn sie immer stärker werden, so dass es einem fast den Körper zerreißt. Dann möchte man am liebsten aus der Achterbahn aussteigen.

Doch in München helfen einem die Menschen und ihr System, dass man nicht aus der Kurve rutscht. Die Hebamme war zuvorkommend, bot mir an, mit ihr Englisch zu sprechen. Ansonsten war es im Kreißsaal auffällig ruhig. Nicht wie in Uganda, wo Frauen in den Gängen sich vor lauter Schmerzen die Seele herausschreien. Doch ich wollte nicht als schwache Frau gesehen werden, also riss ich mich zusammen. Im Krankenhaus traute ich mich nur hinter den verschlossenen Türen des Kreißsaals zu schreien, Kreischsaal wäre ein noch passender Begriff.

In Uganda stehen einem in den Stunden vor der Entbindung Familie und Bekannte zur Seite. Eine pränatale Massage, ein leichtes Essen, jemand, der einem die Hand hält. In München sind in diesen Stunden Gynäkologen und Hebammen um einen herum. Sie geben einem ein Gefühl von Sicherheit. Dadurch sinkt die Angst, dass etwas schief laufen könnte.

Dann kam sie: meine Tochter, gesund durch und durch. Seither ist sie das Zentrum meiner Welt. Wo ich herkomme, hat man hingegen selten eine Wahl. Es kann passieren, dass eine Mutter bereits wenige Tage nach der Entbindung zurück an den Arbeitsplatz zitiert wird. In München wäre das undenkbar. Weil es hier Luxusregelungen wie Elternzeit und Mutterschutz gibt, die man pünktlich antreten darf. Wahrscheinlich ist meine Tochter schon jetzt sehr deutsch: Sie kam ziemlich genau zum errechneten Zeitpunkt zur Welt - pünktlicher geht es kaum.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2018/vewo
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