Münchens Schulkinder werden wie kleine Könige und Prinzessinnen behandelt. Hier wird diskutiert, manchmal frech geantwortet oder gar ignoriert, was der Lehrer sagt. Oft entscheiden Schüler und Lehrer gemeinsam, wie der Unterricht aussehen soll. Es kommt sogar vor, dass der Lehrer abstimmen lässt, ob lieber Tischtennis, Fußball oder Volleyball gespielt werden soll. Und wenn der Lehrer doch mal zum Turnen aufruft? Dann sitzt er nicht gemütlich daneben, sondern turnt die Übung vor.
Wo ich herkomme, wäre das alles undenkbar. Sportunterricht in Syrien bedeutete Konditionstraining - und die Mädchen dürfen nicht mitmachen. In der Klasse mussten wir regungslos auf unserem Platz ausharren und stets fleißig und brav sein. Nicht immer klappte das, weswegen ich zuweilen eine Watschn bekommen habe, oder Stockschläge auf die Füße. Das versuchte ich zu vermeiden, damit ich mich zu Hause nicht für Löcher in meinen Socken schämen musste.
Neue Heimat:Syrer streichelt Pferd
Klingt das banal? Unser Autor kann sich kaum ein stärkeres Symbol für Freiheit und Gerechtigkeit vorstellen.
In der Münchner Montessori-Schule, an der ich seit einem Jahr Sport unterrichte, weht ein anderer Wind. Dort ist es verboten, Schüler zu schlagen - auch wenn man Lehrer ist. Ich sorge stattdessen dafür, dass der Sportunterricht Spaß macht. Fällt ein Tor, freue ich mich mit. Arme hoch und high five. Zusammen mit einer Kollegin unterrichte ich auch Mädchen, das ist etwas komplizierter als bei den Buben. Meine Schülerinnen lieben es zu diskutieren und reden oft gleichzeitig. Für die 26 Schülerinnen in meiner Klasse bräuchte ich eigentlich acht Ohrwaschel und vier Mundwerke.
In Syrien geht es dagegen zu wie auf einem Kasernenhof: Morgens müssen die Kinder in Reih und Glied antreten und auf Kommando strammstehen. Alle tragen Uniform mit Schulterklappen und Brustschildern. Schon kleine Kinder lernen, dass sie Assad lieben müssen. Der Lehrer sagt: "Unser Kommandant für immer", und die Kinder ergänzen: "Baschar Assad". Der kleine Mohammed hat das auch rufen müssen, auch er sitzt in einer Klasse, die ich betreue. Durch Verletzungen im syrischen Krieg ist er behindert, viele Operationen hat er hinter sich. Aber: Er ist wie ich nach Deutschland geflüchtet und nun in Sicherheit.
Verglichen mit allem, was ich in meiner Schulzeit erlebt habe, ist Deutschland ein Königreich für Schulkinder. In der Schulkantine sitze ich nun mit den Erstklässlern an sehr niedrigen Tischen. Wie ein Hirte habe ich dort den Überblick über meine Schäfchen. Sie beobachten mich und stellen Fragen. Schön zu sehen, wie offen sie sind - auch wenn ich nicht auf alles die passende Antwort habe.
In Syrien war die Angst ein steter Begleiter, auch auf dem Schulweg. Ich erinnre mich, wie ein Flugzeug eine Schule in meiner Heimatstadt Rakka bombardierte. Der Anblick, die Toten und die Schreie blieben im Kopf. In Deutschland können Eltern mit dem Gefühl zur Arbeit gehen, dass ihre Kinder in der Schule sicher sind. Wie schön ist es, wenn die Buben und Mädchen nach dem Gong mit ihren Rucksäcken aus der Schultüre herauskommen - wie Bienen aus ihrem Bau. Und der kleine Mohammed ist mitten drin.